EU ausgetrickst?

Ungarn in Rumänien sollen einen speziellen Reisepass erhalten. Meint Budapest. Brüssel sieht das anders

BUDAPEST/BRÜSSEL taz ■ Glaubt man Gyula Radi, ist Ungarn für die EU-Mitgliedschaft bestens gerüstet. „Im Bereich Innen- und Justizpolitik brauchen wir keine Übergangsfristen“, sagt er selbstbewusst. Er sollte es wissen, denn bei der ungarischen EU-Vertretung in Brüssel ist er für diesen Bereich zuständig. Vom geplanten Sonderstatus für ungarische Minderheiten in den Nachbarstaaten allerdings will er noch nie etwas gehört haben: „Wir mögen die Ungarn Rumäniens – aber sie sollen bleiben, wo sie sind. Und wenn sie in unser Land kommen, sollen sie alle Formalitäten erfüllen.“

Genau das aber sollen sie nach dem geplanten Gesetz nicht. Um einer massiven Fluchtwelle ins gelobte künftige EU-Land vorzubeugen und die Minderheiten-Ungarn zum Bleiben in ihren Heimatländern zu bewegen, sieht es eine Reihe von Privilegien wie Reiseerleichterungen und Arbeitserlaubnis für sie vor. Denn wer die Privilegien in Anspruch nimmt, verliert das Recht, in Ungarn einen Einbürgerungsantrag zu stellen.

Umstritten ist das Gesetz in der ungarischen Öffentlichkeit vor allem wegen der Prozedur, die zur Vergabe eines „Ungarn-Passes“ führt. Dafür werden in den Nachbarländern informelle Gremien ins Leben gerufen, denen Politiker, Kirchenvertreter und andere Personen des öffentlichen Lebens aus der ungarischen Minderheit angehören sollen. Vor einer solchen Kommission müssen sich die Antragsteller zum Ungarntum bekennen und ihre ungarischen Sprachkenntnisse nachweisen. Auf „Empfehlung“ der betreffenden Kommission wird der für jeweils fünf Jahre gültige „Nationalbürger-Ausweis“ ausgestellt. Nichtungarische Ehepartner oder Kinder aus Mischehen sollen einen „Nationalbürger-Zugehörigenausweis“ erhalten.

Die sozialistische Partei in Ungarn äußerte Bedenken gegen die geplanten Anerkennungsgremien. Sie könnten leicht zu Brutstätten für „Ethno-Handel“ und „Ethno-Korruption“ verkommen, da ein solcher Nationalbürger-Ausweis zur Eintrittskarte in die EU werden könnte. Die ungarische Regierung betonte dagegen, das geplante Gesetz werde nicht gegen Regeln der Union verstoßen.

Dieser Optimismus wird in der EU-Kommission nicht geteilt. Zwar weisen die in der Generaldirektion Erweiterung zuständigen Ungarn-Spezialisten darauf hin, dass es sich zunächst nur um einen Entwurf handele. Es müsse abgewartet werden, ob das Parlament den Text in seiner Frühjahrssitzung wirklich annehme. Die Experten haben Erweiterungskommissar Verheugen für seine heutige Reise nach Ungarn aber ein Dossier über das geplante Gesetz und die Probleme, die daraus entstehen könnten, ins Reisegepäck gesteckt.

Da ist zum einen die Visa-Frage. Während Bürger aus der Ukraine oder dem ehemaligen Jugoslawien ein Visum benötigen, um in die EU einzureisen, könnten die dort lebenden Ungarn an der Schengen-Außengrenze ihren Nationalbürger-Ausweis hochhalten. Diese Grenze, die derzeit mit Unterstützung von deutschen Experten aufgerüstet wird, würde dadurch löchriger.

Zum zweiten fürchten die Fachleute der Generaldirektion Erweiterung, dass das geplante Gesetz gegen den Antidiskriminierungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht verstoßen könnte. Denn EU-Bürger ungarischer Abstammung würden in Ungarn günstigere Bedingungen vorfinden als andere EU-Europäer. Würden sie zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung oder bei der Arbeitserlaubnis besser behandelt, wäre das mit EU-Recht nicht vereinbar. KENO VERSECK,
DANIELA WEINGÄRTNER