Höchste Einschaltquoten für ein Politmagazin

NTW bildet Russlands buntes Chaos ab – und machte sich mit seiner kritischen Berichterstattung über Tschetschenien einen Namen

MOSKAU taz ■ Der Sender NTW steht für das andere Russland, das Russland mit dem etwas reineren Gewissen. Sollte die TV-Station endgültig von den Kanalarbeitern des Kremls trockengelegt werden, wird niemand mehr Russlands bunt schillerndes Chaos einfangen.

Die Geschichte NTWs ist eine Erfolgsgeschichte. 1993 erschien das Logo des Senders zum erstenmal auf den Frequenzen des St. Petersburger Lokalsenders. Ein Jahr später schon ging der Kanal landesweit auf Sendung, aber nur mit einem begrenzten Programm in den Abendstunden. Es reichte indes, um das Land aufzurütteln. Als russische Truppen im Winter 1994 im Kaukasus den ersten Tschetschenienkrieg entfachten, waren es die Journalisten von NTW, die die öffentliche Meinung gegen den Feldzug mobilisierten. Junge engagierte Journalisten, die ihr Leben an der Front aufs Spiel setzten.

Dem ehemaligen Kremlchef Boris Jelzin war die ungeschminkte Berichterstattung schon damals ein Dorn im Auge. Nicht nur geriet er selbst ins Kreuzfeuer, auch der Mythos der russischen Generalität wurde damals demontiert. Für Nationalisten stellte der Sender seither ein rotes Tuch dar, der nur westlichen Interessen dienen konnte.

Das makellose Bild trübte sich 1996 ein. Im Präsidentschaftswahlkampf ergriff NTW offen Partei für Boris Jelzin gegen seinen kommunistischen Mitbewerber Gennadi Sjuganow. Für die Verletzung der Ausgewogenheit glaubte man gute Gründe zu haben. Schließlich galt es, einen Rückfall in die totalitäre Vergangenheit abzuwenden. Der Reputation hat es zunächst nicht geschadet. Aus Dankbarkeit schusterte Jelzin dem Eigentümer Wladimir Gussinsky eine eigene Frequenz zu. Tägliche Sendezeit 16 Stunden. Der Burgfrieden mit dem Kreml hielt indes nicht lange vor. Der Sender kehrte zum investigativen Journalismus zurück und deckte eine Reihe von Korruptionsaffären auf, die die damalige Regierung aus liberalen Reformern mitzuverantworten hatte.

Frontmann des Senders ist der Starjournalist und (abgesetzte) Generaldirektor Jewgeni Kiseljow. Sein Politmagazin „Itogi“ am Sonntagabend hat die Funktion eines Politbarometers. Hier wird ausgelotet, wie es um die Macht in Russland steht. „Itogi“ erreicht die höchsten Einschaltquoten mit den teuersten Werbeplätzen. Für eine analytische Nachrichtensendung – zudem am Wochenende – ein Phänomen.

Selbstbewusstsein und Gewissheit Jelzins, eine historische Leistung vollbracht zu haben, ließ Kritik gerade noch zu. Seit Wladimir Putin im Herbst 1999 die politische Arena betrat, wird Kritik mit Verrat verwechselt. Und auf Verrat steht meist die Todesstrafe.

KLAUS-HELGE DONATH