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... weil niemand die Sprache des anderen spricht

■ Im Neuen Cinema am Steindamm: David Spencer mit einer szenischen Lesung seines Stücks „Clämoarr“

Neidvoll blickt er auf den Umgang deutschsprachiger Bühnen mit Stücken: Eine in den Sand gesetzte Inszenierung bedeutet ja noch kein Aus für ein Stück. In Großbritannien sei es dagegen schon schwierig, einen Text überhaupt nochmal aufgeführt zu bekommen. Ganz ohne Larmoyanz stellt er fest: „Deutschland ist für viele ein ökonomisches Exil.“

Am Deutschen Schauspielhaus arbeitet der 43-jährige Autor David Spencer als Projektleiter derzeit mit SchülerInnen im Projekt „Schreibtheater“. Passend dazu wird er am Sonntag sein vorletztes Werk Clämoarr/ Geschrei in der Lesereihe „Stück:Gut“ präsentieren. Denn Clämoarr ist auch ein Stück über Jugendliche. Die szenische Lesung lehnt sich stark an der Uraufführung in der JugendTheaterWerkstatt Spandau im vergangenen Herbst an. Seitdem ist das Stück nicht mehr gezeigt worden. Das gesamte Amateurensemble reist zur Lesung nach Hamburg.

Der erste Teil des Stücks spielt in einem Berliner Park und erweckt eine Jugendgang zum Leben: Wenige sprechen mehr als zwei zusammenhängende Sätze, zwischen Joint, Diebesgut und Speedline bedroht und beschimpft man einander. Und, weil es die Posse ist, hält man natürlich zusammen wie Pech und Schwefel. Dass diese Parkidylle normale Spaziergänger belästige und folglich Recht und Ordnung einzukehren habe, ist die Überzeugung des rassistischen Philipp Aus-terlitz. Zusammen mit seinem Pitbull Satan geht der selbsternannte Polizist Streife durch den Park. Unausweichlich ist das mörderische Aufeinanderprallen der Jugendlichen und Austerlitz.

Der zweite Teil von Clämoarr zeigt, dass lokale und globale Gewalt nicht voneinander zu trennen sind: In einem fiktiven, asiatischen Land kommt es zwischen den gleichen Figuren unter anderen Namen wieder zu Krieg. Versatzstücke aus schriftlichen Übereinkünften auf weltpolitischer Ebene verleihen auch dem zweiten Teil realistisch-dokumentarischen Charakter. Verhandlungen scheitern, weil niemand die Sprache des anderen spricht. Alle reden in wildem Kauderwelsch: Eine Artikulationsweise, die David Spencer sofort zu improvisieren in der Lage ist.

Dass Sprachlosigkeit oft Ursache von Gewalt ist, weiß Spencer besser als viele andere. Wie bereits in einem Gefängnis in Manchester, arbeitet der Dramatiker auch in der JVA Tegel. „Ein eingeknasteter Mensch ist in den verschiedenen Schachteln von Cops, Psychologen und Richtern gefangen“, meint Spencer. Seine Anleitung zum kreativen Schreiben versteht er als Konfliktmanagement: „Für manche ist es schon ein Sieg, einen einzigen Satz zu schreiben.“ Clämoarr erzählt eine Menge über Gewalt. Und darüber, dass sie noch nicht aufhört, wenn man mehr als einen Satz sagt. Liv Heidbüchel

Sonntag, 20 Uhr, Neues Cinema

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