Alles hängt von Guga ab

Gustavo Kuerten hat in Brasilien einen Tennisboom ausgelöst, obwohl nur ein kleiner Teil der Bevölkerung sich den weißen Sport leisten kann. Ab heute trifft Brasilien im Daviscup auf Australien

aus FlorianopolisSTEFAN KUNZMANN

Das Ende kam mit 214 Stundenkilometern. Mit 14 Assen jenseits der 200 km/h beförderte der Schwede Thomas Johansson seinen Gegner Gustavo Kuerten von der Spitze der Tennis-Weltrangliste. Der Brasilianer haderte zuerst mit seinem Schicksal, dann nahm er sein Ausscheiden beim Turnier in Miami gelassen hin. Schließlich stand Wichtigeres für den zweimaligen French-Open-Sieger bevor: Von heute bis Sonntag trifft Brasilien im Daviscup-Halbfinale auf Australien. Und das auch noch in Florianopolis, jener südbrasilianischen Inselstadt, in der „Gustavo“ zu Hause ist.

Aufgewachsen ist der Tennis-Sunnyboy mit dem Spitznamen Guga im mittelständischen Viertel Itacorubi. Dort hat der 24-Jährige noch sein Zimmer im elterlichen Haus, dekoriert mit Postern von Bob Marley und John McEnroe. So oft wie möglich ist Guga in „Floripa“, um sich um seinen behinderten Bruder Guilherme zu kümmern oder beim Surfen abzuschalten, mit ein paar Kumpels aus seiner Band Musik zu machen oder in der Szenekneipe „Café Cancún“ abzuhängen. Die finanziellen Dinge überlässt Kuerten seinem Bruder Rafael (26). Der Vater starb, als Guga zehn Jahre alt war. Die Mutter, die bei vielen Turnieren auf der Tribüne sitzt, ist die oberste moralische Instanz der Familie.

Florianopolis dient dem Familienunternehmen Guga als Schaltzentrale. Dort kaufte Gustavo eine Tennisschule und eine Tankstelle – und wie mancher brasilianischer Fußballspieler fördert er soziale Projekte. Doch in Florianopolis begann auch das brasilianische Tenniswunder. Denn Gustavo Kuerten ist die größte Tennis-Entdeckung des Landes seit der ehemaligen Wimbledon-Siegerin Maria Esther Buenos vor rund 40 Jahren. Und mit dem Phänomen Guga erlebt der weiße Sport im Land des Fußballs einen wahren Boom.

Als Kuerten 1997 zum ersten Mal die French Open gewann und damit seinen ersten großen Erfolg feierte, hielten manche ihn noch für eine Eintagsfliege. Doch die letzten Zweifel beseitigte er im vergangenen Jahr – als er zum zweiten Mal in Paris gewann und die Spitze der Weltrangliste erklomm. Die „Gugamania“ nahm ihren Lauf.

Zwar ist Brasilien nicht das Land der zahlreichen Tenniscracks geworden, aber geändert hat sich doch einiges. Dank des „Guga-Effektes“ ist die Zahl der Hobby-Tennisspieler von 1996 bis 2000 um 50 Prozent gestiegen. In derselben Zeit wurden 130 Prozent mehr Tennisschläger verkauft. „Da ist noch mehr drin, wenn man bedenkt, dass Guga noch jung ist“, meint der Tennistrainer Marcelo Meyer.

Der Zulauf verlief in drei Etappen: Zuerst holten einige ehemalige Spieler ihre Schläger wieder aus dem Schrank; dann kamen die, die vorher nie einen Tennisplatz betreten hatten; und zuletzt fing eine beträchtliche Zahl von Frauen und Kindern zu spielen an. Wie eine Umfrage unter Eigentümern von Tenniszentren in São Paulo und Rio de Janeiro ergab, stieg der Anteil der Frauen in den letzten Jahren von zehn auf 40 Prozent. Inzwischen entstehen in Brasilien jeden Tag im Durchschnitt zwei neue Tennisplätze, seit 1996 ist die Zahl der Courts um 40 Prozent gestiegen.

Dabei spricht einiges gegen einen Erfolg des weißen Sports in Brasilien. Zum einen werden sehr wenige Turniere im Fernsehen übertragen – selbst die meisten Spiele Kuertens laufen nur im Kabel-TV –, das andere Hindernis auf dem Weg zum Massensport ist die kostspielige Ausrüstung. Sie ist für die meisten Brasilianer schlichtweg nicht erschwinglich. Wer kann sich bei einem monatlichen Durchschnittslohn in einer Stadt wie São Paulo von rund 580 Reais (ca. 600 Mark) schon einen Schläger für mehr als 100 Reais leisten? Und um Tennis wenigstens ein bisschen spielen zu können, bedarf es zunächst einiger Übungsstunden. Hinzu kommen Platzmieten und hohe Mitgliedsbeiträge der Clubs.

Noch sind es nur 400.000 Brasilianer, die das Racket schwingen. Das sind nicht einmal 0,3 Prozent der Bevölkerung. „Doch selbst bei diesen Hürden wird Tennis auch in Zukunft weiter an Zulauf gewinnen“, zeigt sich Nelson Nastás, Präsident des brasilianischen Tennisverbandes, optimistisch. „Doch das hängt alles von Guga ab.“ Der will derweil die Niederlage gegen Johansson schnell vergessen machen. Von Miami flog er direkt nach Florianopolis, um sich auf den Daviscup vorzubereiten. „Das war die erste Niederlage, die etwas Gutes hatte“, meint Guga. Ab heute will er das zeigen.