Die Green Card ist ein Flop

Vor einem Jahr wurde auf der Cebit in Hannover die Diskussion um die IT-Inder angestoßen. Heute reden Politiker und Experten lieber nicht mehr davon

Es ist paradox, dass die größte Hightech-Messe der Welt ausgerechnet in Deutschland stattfindet

Als der Bundeskanzler auf der Cebit 2000 die IT-Inder erwähnte, reagierte die Branche euphorisch. 20.000 ausländische Computerexperten sollten der deutschen Wirtschaft helfen. „Schröder nimmt den Kampf gegen den Expertenmangel auf“, hieß es damals. Die Geburtsstunde der Green Card. Die Folgen waren unendliche Ausländer- und Leitkulturdebatten.

Dieselben Politiker und Experten wechselten auf der Cebit 2001 das Thema, wenn sie auf die Green Card angesprochen wurden. Sie redeten lieber über schnellere Computer, M-Commerce und „Internet für alle“. Verständlich, denn die Green Card ist ein Flop. Der umgemünzte Antikriegspruch: „Stell dir vor, es gibt die Green Card und keiner will sie haben“, beschreibt die aktuelle Lage.

Laut Cebit-Sonderausgabe „Markt und Chance“, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit, dürfen 5.600 Ausländer stolz darauf sein, eine deutsche Green Card erhalten zu haben. Lediglich 1.200 davon sind die berühmten Inder. Als Erfolg verkauft wird daher die Tatsache, dass 15.000 Computerexperten aus mehr als 100 Ländern Anfragen gestellt haben.

Einer Studie des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien zufolge können heute 440.000 Stellen für Informationstechnik, Telekommunikation und E-Business nicht besetzt werden. Bis zum Jahre 2003 werden es 723.000 Stellen sein. Angesichts der Tatsache, dass im vergangenen Jahr nur 6.000 Informatikstudenten ihr Studium abgeschlossen haben, sieht es für die deutsche Computerbranche schlecht aus.

Es stellt sich dabei die Frage, was die Bundesregierung im letzten Jahr aktiv für die Green Card getan hat? „Fast nichts“, sagt K. Abrahams von der indischen Consulting-Firma Tata in Frankfurt am Main. „Wir sind genau da, wo wir schon vor einem Jahr waren. Technisch jedoch fünf Jahre hinter den USA.“ Und da hat er Recht.

Es gibt lediglich einige englischsprachige Homepages, die sich an Computerexperten wenden. In Indien, dem einzigen Land der Welt, das Fachleute in entsprechender Anzahl zu bieten hat, wird erst recht amateurhaft geworben. Ein herumreisender Infobus, gestaltet von der Deutsch-Indischen Handelskammer, versucht Arbeiten in der Bundesrepublik schmackhaft zu machen. Das war’s.

Anfang März 2001 fand die Abschlussfeier des Indian Institute of Management in Ahmedabad statt. Als die frisch gebackenen Absolventen den Saal verließen, standen unter anderem Vertreter von Microsoft, Dell, Mitsubishi mit ihren Visitenkarten bereit. Vertreter deutscher Firmen waren nicht zu sehen. Die Frage, ob sich die Absolventen eine Karriere in Deutschland vorstellen könnten, wurde ohne Ausnahme, verneint.

Denn die indischen IT-Experten, die schon in Deutschland arbeiten, haben schlechte Erfahrungen gemacht. Seit Monaten ist der Erfahrungsbericht einer indischen Fachfrau im Internet zu lesen. Ein wenig emotional rät sie jedem, Deutschland zu meiden. Sie beschreibt eine rassistische Gesellschaft und beklagt die mangelnde Gleichberechtigung in deutschen Firmen: „Wenn überhaupt, möchten die Deutschen lieber osteuropäische Experten als dreckige Inder.“ Und nach einer EU-Umfrage, die am 20. März veröffentlicht wurde, gaben 25 Prozent der befragten Deutschen an, dass alle nichteuropäischen Einwanderer in ihr Ursprungsland zurückgeschickt werden sollten.

Zwei junge indische Computerfachkräfte in Hessen haben Ähnliches zu berichten. Unverständlich ist ihnen zum Beispiel, warum sie in Apartments untergebracht wurden, die weit auseinander liegen. Fern von der Heimat, ohne Sprachkenntnisse sind sie aufeinander angewiesen. „Die beiden müssen lernen, selbstständig zu werden“, erklärt dazu die Firma.

Sie verdienen 77.400 Mark im Jahr – laut Green-Card-Verordnung das vorgeschriebene Mindestgehalt für Hochschulabsolventen. Abzüglich der Steuern, Sozialabgaben, Versicherung und Miete sowie der VHS-Gebühren des Deutschkurses und der Monatskarten für Bus und Bahn. Vergleichsweise verdient ein Spezialist in den USA bis zu 30 Prozent mehr. Es ist vorprogrammiert, dass die Hessen-Inder sich absetzen, sobald ein besseres Angebot vorliegt.

Ungeachtet dieser Tatsachen lebt die deutsche Chefetage immer noch in dem Glauben, wenn Germany ruft, folgt die Welt. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Ein radikales Umdenken ist angesagt. Das Produkt Deutschland muss neu verkauft werden. Als Erstes muss das Image poliert werden. Es empfiehlt sich, Deutschland vom Klischee des technisch hoch entwickelten Landes mit fröhlichen Ingenieurgesichtern mit Helm zu befreien. Beispielsweise könnten multikulturelle Aspekte in den Vordergrund gestellt werden.

Zweitens müssen die Gehälter und Arbeitsbedingungen denen des Weltmarktes entsprechen. Die hoch qualifizierten Inder kennen ihren Wert. Zurzeit geben sich nur jene mit Deutschland zufrieden, die in den USA, Kanada und Australien keine Anstellung gefunden haben. Außerdem ist eine auf fünf Jahre befristete Green Card auch nicht gerade einladend.

Drittens und langfristig am wirkungsvollsten wäre es, das indische Modell des National Institute of Information Technology (NIIT) nach Deutschland zu importieren. Schon Anfang der 80er-Jahre haben die beiden jungen Ingenieure Vijay Thadani und Rajandra Pawar erkannt, dass die Universitäten und Eliteschulen dem explodierenden Bedarf an IT-Fachkräften nicht mehr nachkommen können. Sie gründeten NIIT und boten Computerunterricht in Basaren an.

Was hat die rot-grüne Bundesregierung im letzten Jahr eigentlich für die Green Card getan? Fast nichts

Der Ansturm war so groß, dass sie viele Bewerber abweisen mussten. Ihnen fehlte das nötige Kapital, um landesweit zu expandieren. Aber sie hatten die originelle Idee, NIIT als Franchising anzubieten. Inzwischen werden jährlich in über 2.000 Zentren eine halbe Million Computerfachkräfte ausgebildet. Ein NIIT-Abschluss garantiert nicht nur einen guten Job, sondern auch eine gute Partie. In den Heiratsrubriken der indischen Tageszeitungen stellen sich inzwischen Kandidaten und Kandidatinnen mit dem Attribut G-NIIT (Graduate) vor.

NIIT gibt es mittlerweile weltweit in 31 Ländern. Besonders stolz sind Thadani und Pawar auf ihre Filiale in Schanghai. Elf chinesische Professoren haben ein ganzes Jahr gebraucht, um den NIIT-Unterricht auf Mandarin zu übersetzen. Das neueste Experiment von NIIT: In 371 Schulen des Bundesstaates Tamil Nadu wird kostenloser Unterricht angeboten. Nach Schulschluss können einfache Bürger die Einrichtung kostenpflichtig nutzen. Ziel ist, bis 2010 alle indischen Schüler computerfit zu machen.

Menschen wie Thadani und Pawar gibt es überall. Sogar in Deutschland. Allerdings werden in der Bundesrepublik Innovation und Originalität nicht belohnt. Es ist ein Paradox, dass die größte Hightech-Messe der Welt in Hannover stattfindet. Aber das Land ist nicht in der Lage, sich mit der Zeit zu bewegen.

ASHWIN RAMAN