„Romanze mit den Massen“

In Peru wird es bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag für den Favoriten Alejandro Toledo wahrscheinlich nicht zur absoluten Mehrheit reichen. Das Comeback von Expräsident Alan García ist die eigentliche Überraschung des Wahlkampfes

von INGO MALCHER

Ein unbekanntes Gesicht zierte Anfang dieser Woche die Titel vieler peruanischer Zeitungen. Wie auf einem Fahndungsfoto schaute ein bärtiger Mann mit entschlossenen Augen einmal frontal in die Kamera, einmal wurde er im Profil abgebildet. Der Unbekannte war Vladimiro Montesinos, die ehemals rechte Hand des gestürzten Präsidenten Alberto Fujimori. Angeblich soll sich Montesinos in Venezuela einer Gesichtsoperation unterzogen haben, um so den peruanischen und US-amerikanischen Fahndern zu entkommen. Seit dem Ende des Fujimori-Regimes wurde Montesinos vom Jäger zum Gejagten.

Am Sonntag werden in Peru der Präsident und 120 Parlamentsabgeordnete gewählt. Eine Gelegenheit, in den Wahlprozess einzugreifen, wird Montesinos nicht mehr haben. Dabei hinterließ er ein Pulverfass. Über tausend Videos sollen in einem seiner Häuser gefunden worden sein. Darauf sind Fujimori-Gegner und -Anhänger gefilmt, wie sie Schmiergelder einstecken, sich mit Prostituierten vergnügen oder gerade Kokain schnupfen. Aber Prostituierte und Drogen interessieren nicht mehr. Das Einzige, was einen Kandidaten gefährden könnte, wäre, wenn er Gelder aus der Hand von Montesinos eingesteckt hätte.

Alejandro Toledo, Favorit bei den Wahlen, hat diese Erfahrung gemacht. Als die Zeitschrift Carretas kürzlich ein Dokument veröffentlichte, das ihm einen positive Kokainprobe attestiert, schadete ihm das kaum. Trotzdem beschwerte sich Toledo über die „Schmutzkampagne“, die seine Feinde gegen ihn ausgeheckt hätten. Doch seinen Anhängern ist viel wichtiger, dass er den damaligen Präsidenten Fujimori herausfordete und damit zum Ende von dessen Regime beitrug. Toledos „Romanze mit den Massen“, wie es Carretas nannte, hält seidem an. 15 Wahlkampfveranstaltungen in drei Tagen sind nicht ungewöhnlich.

Auf einer Kundgebung in der südlichen Stadt Arequipa bekam Toledo prominente Unterstützung durch den Schriftsteller Mario Vargas Llosa. „Dieser mutige, aus einfachen Verhältnissen stammende Mann war entscheidend für die Beseitigung der grausamsten und korruptesten Diktatur der neueren peruanischen Geschichte“, sagte Vargas Llosa. Toledo spielt mit seiner Herkunft aus einem verarmten Andendorf und kommt damit vor allem bei den unteren Schichten an.

Dafür ist fast die gesamte Oberschicht gegen ihn, die sich einen dunkelhäutigen Präsidenten nicht vorstellen mag. Ihre Kandidatin ist die konservative Christsoziale Lourdes Flores Nano. „Ich bin auf keinem der Videos mit Montesinos zu sehen“, sagt sie und präsentiert sich als Sauberfrau. Ihr Pech ist aber, dass die übrig gebliebenen Fujimori-Anhänger sie zu ihrer Kandidatin kürten, obwohl die erfolgreiche Anwältin unter Fujimori engen Kontakt zu der demokratischen Opposition hielt.

Da Toledo vermutlich nicht im ersten Wahlgang die benötigten 50 Prozent der Stimmen bekommen wird, läuft alles auf einen zweiten Wahlgang hinaus. Im Kampf um Platz zwei liefert sich Flores eine Schlacht mit Expräsident Alan García, der von 1985 bis 1990 regierte. Garcías Comeback ist die eigentliche Sensation der Wahl. Als Präsident krönte er seine Amtszeit mit einer Hyperinflation von bis zu 7.000 Prozent und ging wegen schwerer Korruptionsvorwürfe unter Fujimori schließlich ins Exil.

Aber García ist ein glänzender Rhetoriker und ein geschickter Politiker, der zudem auf die intakte Parteiorganisation seiner sozialdemokratischen Apra bauen kann. Er verspricht eine „Wirtschaftspolitik mit menschlichem Antlitz.“ Damit stößt er auf offene Ohren. 50 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, seit 1997 steckt Peru in einer schweren Rezession. Das Land wieder wirtschaftlich auf die Beine zu bringen und die Armut erfolgreich zu bekämpfen, das sind die beiden Themen, an denen der nächste Präsident gemessen werden wird.