UN-Honorare für Angeklagte

Skandal am Ruanda-Tribunal der UNO, sieben Jahre nach dem Völkermord: Wegen Völkermordes Angeklagte strichen Anwaltshonorare in Millionenhöhe ein

BERLIN taz ■ Hassan Ngeze ist ein viel beschäftigter Mann. Als „afrikanischer Journalist in einem kriegsgeschüttelten Land“ stellt er sich auf seiner Webseite vor und beklagt Verfolgung wegen „Wahrnehmung der Redefreiheit“. Der 40-jährige Hassan Ngeze ist einer der 44 Häftlinge des UN-Völkermordtribunals für Ruanda im tansanischen Arusha. Als ehemaliger Herausgeber der Zeitung Kangura, die vor der Ermordung von über 800.000 Menschen durch Milizen in Ruanda zwischen April und Juni 1994 zur Ausrottung der ruandischen Tutsi aufrief, ist er des Völkermordes angeklagt.

Ngezes Internetauftritt aus der Gefängniszelle heraus ist eine von vielen Merkwürdigkeiten des UN-Tribunals, die sich pünktlich zum morgigen siebten Jahrestag des Völkermordbeginns allmählich zu einem gigantischen Skandal auswachsen. Das 1995 etablierte UN-Tribunal, das bisher acht Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt hat, steckt in einer Krise.

Grund ist ein interner Untersuchungsbericht über die Arbeit der UN-Tribunale für Ruanda und Jugoslawien, demzufolge Angeklagte in der Haft bei geschicktem Vorgehen üppig alimentiert werden können. Das so genannte fee splitting, also die Aufteilung der Anwaltshonorare zwischen Anwalt und Mandant, wird nach Angaben des am 1. Februar veröffentlichten Berichts beim Ruanda-Tribunal „informell“ betrieben, durch „regelmäßige Überlassung teurer Geschenke an Häftlinge und finanzielle Unterstützung der Familien einiger Häftlinge“.

Der Mechanismus ist einfach. Wenn ein UN-Häftling sich für „mittellos“ erklärt, muss die UNO für die Kosten seiner Verteidigung aufkommen. Die Stundensätze liegen zwischen 80 und 110 US-Dollar für maximal 175 Stunden im Monat. Ein guter Anwalt verdient also an einem Mandanten über 230.000 Dollar im Jahr. Zusätzlich rechnet dieser oft mehr Stunden ab, als er eigentlich gearbeitet hat, und gibt den Überschuss an seinen Mandanten weiter.

Alle 44 Häftlinge des UN-Tribunals beanspruchten bisher den Status der Mittellosigkeit – die freie Anwaltswahl haben sie trotzdem. So muss das Ruanda-Tribunal viel berappen: 1999 gab es 4,5 Millionen Dollar für Anwaltskosten der Angeklagten aus; 2000 sollte dies auf „über fünf Millionen“ steigen.

Was damit passiert, schildert der Untersuchungsbericht so: „Viele Häftlinge, die als mittellos eingestuft waren, lebten mit einer Sammlung hoch entwickelter und teurer Computer-, Audio- und Videoausrüstung. Dies waren Geschenke von Mitgliedern ihrer Verteidigerteams.“ Weiter moniert der Bericht, dass Anwälte im Auftrag ihrer Mandanten „Freunde und Verwandte der Angeklagten“ als „Ermittler“ einstellen, die in Ruanda Entlastungsmaterial sammeln sollen und dafür ein Stundenhonorar von 25 US-Dollar erhalten. „Nicht ein einziger Ermittler reiste nach Ruanda“, fand jedoch das UN-Team heraus. „Als Erklärung wurde angegeben, diese Personen seien in Ruanda wegen Völkermordes gesucht und könnten aus Angst vor Verhaftung nicht dorthin zurückkehren.“ Die in Arusha ansässige Nachrichtenagentur „Internews“ machte daraus am 28. März die Schlagzeile: „Höchste Völkermordverdächtige auf Gehaltsliste des Ruanda-Tribunals.“

Für Hassan Ngeze waren das paradiesische Zustände. Neben seinem Online-Auftritt hat er während seiner Haft Zeugen der Anklage schriftlich bedroht, was angesichts seiner zahlreichen und mächtigen Freunde in anderen ostafrikanischen Ländern ernst zu nehmen ist. Aber seit die UNO das alles gemerkt hat und sich mit Ngeze darüber streitet, ist sein Prozess – ein Gruppenverfahren zusammen mit zwei Gründern des für Hetze gegen Tutsi berüchtigten Radiosenders „Mille Collines“ – unterbrochen.

Im Januar durchsuchten UN-Elektronikexperten Ngezes Zelle und beschlagnahmten technisches Material. Ngeze reichte Beschwerde ein und verlangte die Auswechslung seiner Anwälte. Die beantragten daraufhin, ihren Mandaten einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. Vor wenigen Tagen beschloss Ngeze, seinen Status als „Mittelloser“ aufzugeben – dann muss er nicht mehr um UN-Erlaubnis bitten, um seine Anwälte zu feuern. Der Showdown beginnt. DOMINIC JOHNSON