datenschutzbericht
: Alarmierendes Desinteresse

Bundesdatenschützer Jacob hat völlig Recht: Der deutsche Datenschutzbericht für die Jahre 1999 und 2000 enthält alarmierende Zahlen. So hat sich die Anzahl der offiziell abgehörten Telefone seit 1995 fast verdreifacht. Videoaufnahmen von jedermann werden mittlerweile an jeder Straßenecke gemacht. Genetische Informationen werden gesammelt. In der Tat sollten diese gestern vorgelegten Informationen für Aufregung sorgen. Immerhin handelt es sich zumindest in einigen Fällen offensichtlich um Überschreitungen des durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschützten informationellen Selbstbestimmungsrechtes der Bürger. Doch von Aufregung ist nicht viel zu spüren. Im Gegenteil: Die Warnung des Datenschutzbeauftragten scheint in der Bundesrepublik niemanden so recht zu interessieren.

Kommentarvon JÜRGEN GOTTSCHLICH

Die neue Mitte der deutschen Gesellschaft erregt sich heftig über Patriotismus oder Heimatliebe – aber nicht mehr über den Überwachungsstaat. Der gläserne Mensch, in den 80er-Jahren der modernisierte Albtraum des Orwell’schen Big-Brother-Staates, scheint in Zeiten von Handy und Internet keine Bedrohung mehr darzustellen. Er ist Normalzustand geworden. So wundert es auch kaum, dass christdemokratische Politiker heutzutage sogar fordern können, alle in Deutschland lebenden Männer sollten präventiv ihren genetischen Fingerabdruck speichern lassen, damit Sexualstraftaten in Zukunft schneller aufgeklärt werden können.

Zehn Jahre nach Deutschland einig Vaterland hat sich das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik drastisch verändert. Volkszählungen könnten heutzutage ohne Probleme jederzeit durchgeführt werden: Die Regierung müsste nur das Formular zum Downloaden ins Internet stellen und zudem garantieren, dass jeder Einsender an einer von Doris Schröder-Köpf veranstalteten Tombola teilnehmen darf. Freiheit, tönte Innenminister Schily unlängst im Spiegel, ist nicht mehr die Freiheit vor staatlichem Eingriff. Freiheit entsteht, wenn der Staat Sicherheit garantiert. Möglichst lückenlos und rund um die Uhr.

Vor zwanzig Jahren musste Horst Herold, der legendäre Chef des Bundeskriminalamts, noch zurücktreten, weil er genau dies als Ziel seines „Sonnenstaates“ propagiert hatte. Nun sollte der Mann schleunigst rehabilitiert und mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. Und vielleicht sollte man Herold ja auch als Nachfolger des amtierenden Bundespräsidenten vorschlagen.