Das Leichte ist das Schwere

Familiendramen, Historienspektakel, Geistersagen – und manchmal beide gleichzeitig inszenieren die Filme des japanischen Regisseurs Kenji Mizoguchi: Das 3001 präsentiert eine Auswahl  ■ Von Urs Richter

Das Schwere auf die leichte Schulter zu nehmen, das Komplizierte zu vereinfachen – ist eine rhetorische Strategie. Das Schwere mit Leichtigkeit zu schultern, das Komplizierte in Einfachheit zu schildern – ist eine Kunst. Der Regisseur Kenji Mizoguchi meistert komplizierte Schilderungen in atemberaubender Leichtigkeit. Seine bekanntesten Filme lassen sich vordergründig beschreiben als Familiendramen, Historienspektakel, Liebesgeschichten und Geistersagen. Oft sind sie alles gleichzeitig. Erst auf den zweiten Blick entfalten sie ihre kühne Vision – die Vorstellung, dass eine engagiert ethische mit einer dezidiert ästhetischen Haltung zur Einheit gelangen kann.

Ugetsu Monogatari – Erzählungen unter dem Regenmond ist ein Familiendrama. Zwei Freunde verlassen ihre Frauen, um in der Welt ihr Glück zu suchen. Der eine träumt vom Reibach, der andere von soldatischem Ruhm. Beide riskieren ihre Beziehungen aus egois-tischem Ehrgeiz. Beide scheitern. Der Soldat kann windigen Ruhm lediglich erschleichen und verliert seine Frau an seinesgleichen, er begegnet ihr wieder in einem Bordell für Kriegsknechte. Der Geschäftemacher verfällt einer allverzehrenden Liebe, der er sich durch Flucht entzieht. Bettelarm kehrt er nach Hause zurück. Seine Frau ist tot, gemeuchelt von Soldaten.

Der Film ist ein Historienspektakel. Mizoguchi lässt die Geschichte im mittelalterlichen Japan spielen. Kriegsfürsten und marodierende Banden terrorisieren das Land. Die beiden Freunde sind mittellose Bauern, die aus dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Hie-rarchien Kapital schlagen. In waffenklirrender Zeit kann auch ein Nichtadliger zum Samurai aufsteigen, und mit dem Militär lassen sich gute Geschäfte machen. Der historische Rahmen dient Mizoguchi zu einer Engführung der Handlungsstränge, zu nostalgischer Verengung taugt er nicht.

Die Liebesgeschichte des Films entspinnt sich zwischen dem bäuerlichen Kleinhändler und einer jungen Adligen, letzte Überlebende eines ruinierten Clans. Sie erkennt, inmitten des Markttrubels, sein eigentliches Talent. Er verkauft Keramik, die er mit Hilfe seiner Frau getöpfert, glasiert, gebrannt hat. Ihre vorbehaltlose Bewunderung der Vasen und Teller ändern sein Selbstbild. Er beginnt, seine Kunst zu verstehen, erlebt mit der jungen Frau „Momente der Schönheit, die er sich nicht vorzustellen wagte“.

„Solche Liebe ist übernatürlich“, flüstert er, und Mizoguchi nimmt diesen Verdacht beim Wort. Die Adlige ist ein Geist, von ihrer Amme in die weltliche Welt zurückgeholt, um eine Liebe für die jenseitige zu finden. Eine tief tragische Figur, deren Absicht sich der Erwählte nur durch Gegenzauber zu entziehen weiß. Die ewige Liebe als Geistersage – Ugetsu Monogatari wiederholt diese Interpretation und klingt aus in einem Monolog der getöteten Ehefrau. Auf immer wird sie neben der Töpferscheibe des Künstlers sitzen. Auf immer wird er an sie denken. Dass dieses Überkreuz aus Geschichten und Genres nicht in alle Richtungen auseinanderstiebt, verdankt sich Mizoguchis enormem Stilwillen. Technisch aufwendige, visuell sehr ruhige Plansequenzen halten das Geschehen auf stete Dis-tanz.

Die Inszenierung vermeidet das Pathos detaillierter Naheinstellungen, löst die Dramatik des Erzählten auf in eine Balance aus Licht und Schatten. Mizoguchi zeigt nicht mehr, als das narrativ Notwendige, aber das in visuellem Überreichtum. Manche Szenen sind aufgebaut wie eine Abfolge japanischer Aquarelle, still, unaufdringlich, nur die Musik gibt zu erkennen, wie viel Konzentration ein solches Einhalten erfordert.

Ugetsu Monogatari ist eine Parabel über gesellschaftliche Unterdrückung, individuelle Entscheidungsnot und die Vision eines gelungenen Lebens – aber eine Parabel, die sich nicht auf schnelle Antworten zurückzieht. Der Film erzählt ein Gleichnis der komplizierten menschlichen Exis-tenz, aber vermeidet wohlfeile Metaphern. Und ist viel zu selten im Kino, deshalb ein Kreuz in den Kalender.

Sonntag, den 8. 4., 20.30 Uhr im 3001