Stille’s Geräuschlösungen

Thomas Stille ist Sounddesigner. Bislang ging es in diesem Berufsfeld darum, Alltagsgeräusche zu minimieren. Doch mit gezielt eingesetzten Tönen können auch positive Stimmungen erzeugt werden

von CHRISTA STORM

Er hat nicht mal besonders groß gewachsene Ohren. Trotzdem hört Thomas Stille das Gras wachsen. Er kann vom Geräusch des Blinkerknackens auf das Fahrzeugfabrikat schließen. Er kann die Place de la Concorde vom Platz der Vereinten Nationen unterscheiden – anhand von einigen Sekunden Geräuschprobe. Seine Ohren hat Stille, „Meister Stille“, wie ihn seine Freunde rufen, noch nie ärztlich untersuchen lassen. Der Mann ist einfach talentiert. So talentiert, dass er seine ungewöhnliche Gabe zum Beruf gemacht hat: Thomas Stille ist Sounddesigner, seine Firma für Geräuschlösungen aller Art heißt „Urban Wave“.

„Klar gibt es einen akustischen Geschmack“, meint der Tonmeister, der keinen Fernseher, sondern nur ein Radio besitzt. „Meeresrauschen könnte ich mir stundenlang anhören, aber der Verkehr vor meinem Haus geht mir auf die Nerven.“ Deswegen fährt Thomas Stille auch gerne mit dem Fahrrad durch die Stadt. Aber er biegt ab, ohne sich umzusehen: Stille hört, ob ein Auto kommt, und er hört, ob ein Volvo oder ein Smart hinter ihm fährt. Bis jetzt sind noch alle Knochen heil.

Der Sounddesigner arbeitet momentan im Forschungsbereich eines großen Automobilkonzerns. Er verpasst den Produkten, die sich technisch sehr ähneln, eine unverwechselbare, im Studio künstlich erzeugte Geräuschidentität. Theoretisch nämlich, erzählt Stille, dringt bei Luxuswagen kein Motorengeräusch ins Fahrzeuginnere. Der Lärm, den so ein Auto beim Schalten, Bremsen und Gasgeben macht, wird von Stille und seinen Kollegen am Computer entwickelt und bei Bedarf über Lautsprecher eingespielt: „Der Fahrer soll hören, dass er in einem Sportwagen sitzt.“ Aber auch die Sicherheit spielt eine große Rolle – wenn der Fahrer nicht mehr hört, wie schnell er fährt, kann er schnell das Gefühl für Geschwindigkeit verlieren.

Sounddesigner Stille ist eigentlich ausgebildeter Stadtplaner und ein klassischer Seiteneinsteiger. „Stadtplanung und Sounddesign sind sehr komplex – man muss in der Lage sein, Einzelaspekte isolieren zu können, um sie dann zu untersuchen“, vergleicht Stille. Seine beiden Berufe verbunden hat er vor einigen Jahren mit dem Kunstprojekt „Citylights“. Stille sammelte Geräuschaufzeichnungen aus zahlreichen europäischen und amerikanischen Städten und verknüpfte sie mit Dias von Plätzen anderer Städte. „Wenn jemand aus dem Flughafen von Kairo kommt, hat er das dumpfe Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Darauf, dass sich die Geräusche von denen der Heimatstadt unterscheiden, kommt man normalerweise nicht“, sagt der Psychoakustik-Experte.

Interessant ist auch ein Pilotprojekt, das Meister Stille für ein Unternehmen entwickelt hat: Die am Computer arbeitenden Angestellten machten nicht genug Pausen. Die Konzentration litt, das Unternehmen beauftragte Stille, eine akustische Lösung zu finden. „Wir entwickelten ein Wassergeräusch, das alle halbe Stunde über den Computer eingespielt wurde.“ Der Klospülung-Sound sollte die Tischarbeiter an ihre Verdauung erinnern.

Wie man Sounddesigner wird, darauf weiß Meister Stille keine rechte Antwort. „Man könnte technische Akustik studieren“, meint er. Die meisten Ausbildungen zum Sounddesigner richten sich an Filminteressierte. In Baden-Württemberg kann man etwa Sounddesign kombiniert mit Filmmusik studieren (siehe Kasten). Das Berufsfeld ist noch sehr neu. „Bis vor kurzem kam es immer darauf an, Alltagsgeräusche möglichst zu minimieren“, sagt Stille. „Erst jetzt entdeckt man langsam, dass man mit gezielt eingesetzten Tönen auch Positives erzeugen kann.“

Urban Wave Tel. (0 30) 4 47 36 123