ins tiefste afrika
: Eine Ausstellung

Zur Moderne

Noch vor 50 Jahren war nahezu der gesamte afrikanische Kontinent europäisches Kolonisationsgebiet. Als in den Fünfziger- und vor allem Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts die afrikanischen Länder nacheinander ihre staatliche Souveränität errangen, waren die Hoffnungen groß. Der Sozialismus schien eine Chance zu bieten, nach der langen Periode der Fremdherrschaft einen neuen, fairen Weg der Selbstbestimmung zu gehen. Von dieser Euphorie ist nicht mehr viel zu spüren. Wenn von Afrika die Rede ist, dann als einem Hort der Seuchen, Bürgerkriege und Hungersnöte.

Dabei wird ein anderes Afrika vergessen: das Afrika der Unabhängigkeitsbewegungen, der erfolgreichen Befreiung von der Kolonisation. Dies ist jetzt Gegenstand einer Ausstellung und eines Buchs mit dem bezeichnenden Titel „The Short Century“. Zusammengestellt wurde der Band von Okwui Enwezor, dem Leiter der nächsten documenta.

Die Namen der Protagonisten der ersten Jahre der Unabhängigkeit sind heute kaum mehr bekannt. Kwameh Nkrumah, erster Präsident Ghanas, das 1957 als erstes Land Afrikas die Unabhängigkeit errang, war der visionäre Begründer des Panafrikanismus. Patrice Lumumba führte den Kongo in die Unabhängigkeit; ein Unternehmen, das ihn den Kopf kosten sollte. Kaum ein Jahr nach Erreichen der Selbstständigkeit des Landes im Jahre 1960 wurde er ermordet, wahrscheinlich unter Beteiligung Belgiens, des vormaligen Kolonisators. Léopold Senghor war Präsident des Senegal und führender Kopf der Negritude-Bewegung, deren Ziel die literarisch-künstlerische Selbstverständigung über schwarze Identität war.

Doch der Ausstellung, die den Untertitel „Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen 1945–1994“ trägt, geht es gar nicht in erster Linie um Politik, sondern um Kunst. Kunst nicht um ihrer selbst willen, sondern als Ausdruck der afrikanischen Kultur, der so genannten afrikanischen Moderne. Die Ausstellung und insbesondere das dazugehörige Buch – das weit mehr als ein Katalog ist – wählen den Weg der thematischen Überbegriffe: Kunst, Kleidung, Fotografie, Architektur, Musik, Theater/Literatur, Film. Im Buch sind die Schwerpunkte unterfüttert mit theoretischer Literatur, die immer wieder von ebendieser Moderne spricht und den Beweis erbringen will, dass afrikanische Kunst und Kultur sich nicht auf traditionelle Holzschnitzereien beschränken.

Das mag einem einseitig erscheinen, und das ist es auch. Dennoch ist ein solcher Ansatz gerechtfertigt, weil er einen Aspekt Afrikas herausgreift, den bisher niemand wahrgenommen hat. Eine enorme Leistung. MAHA

Die Ausstellung „The Short Century“ läuft noch bis 22. 4. in der Villa Stuck in München, Prinzregentenstr. 60, Di.–So. 10–18 Uhr. Anschließend wandert sie nach Berlin in den Martin-Gropius-Bau, Stresemannstr. 110, wo sie ab 18. Mai von So. bis Mo., 10–20 Uhr, Sa. bis 22 Uhr zu sehen sein wird. Das dazugehörige englischsprachige Buch, das auch eine umfangreiche Anthologie zum Thema enthält, ist im Prestel-Verlag erschienen und kostet 128 Mark.Weitere Informationen unter www.theshortcentury.com