Der Wettlauf mit der Seuche

Täglich erwarten Bauern den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche. Die EU wird gedrängt, regionale Impfungen zuzulassen. Kurzfristig hilft das nicht

von BERNHARD PÖTTER
und MATTHIAS URBACH

Gestern waren sie dann wieder die dicksten Freundinnen. Als „Dream-Team des Verbraucherschutzes“ präsentierten sich gestern die Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Bärbel Höhn, und die im Bund, Renate Künast. Demonstrativ tuschelten und lachten sie in die Kameras während ihrer Versöhnungspressekonferenz zu Gast bei Parteichef Fritz Kuhn in Berlin. Von „Panikmache“ (Künast über Höhn) oder „unverständlichem Widerstand aus Berlin“ (Höhn über Künast) war keine Rede mehr. Trotz Differenzen zeichnet sich ein Kompromiss ab: Höhn stellte klar, dass es ohne EU-Beschluss keine Impfungen geben wird. Künast will bei der EU eine Ausweitung der Ringimpfung erreichen. Der Hintergedanke: Zieht man den Ring nur weit genug, hat er einen ähnlichen Effekt wie ein von Höhn geforderter Schutzgürtel an der Grenze.

Noch am 23. März hatten Agrarminister von Bund und Ländern beschlossen, gegen die Maul- und Klauenseuche nach EU-Regeln vorzugehen: bei Verdacht schnell den betroffenen Hof schließen, die Tiere töten, im Umkreis einiger Kilometer die Tiere impfen.

Doch je näher die Seuche rückt, desto größer wird die Angst vor Massentötungen. An Bundeslandwirtschaftsministerin Künast, die an der Planung festhält, werden immer häufiger Forderungen gerichtet, doch vorbeugend gegen die Seuche zu impfen: Inzwischen sind die Bauernverbände dafür, das Europäische Parlament und die Länder Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Für Höhn sind regionale vorbeugende Impfungen „nur eine Frage der Zeit“.

Genau das ist der Punkt. Denn für einen Schutzgürtel an der deutsch-holländischen Grenze „ist jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, ein verlorener Tag“, heißt es aus Höhns Ministerium. Die Länder drängen Künast, bei der EU eine Änderung der Impfvorschriften zu erwirken. Doch die Länder wissen selbst, wie langsam die Mühlen der EU mahlen. So fordert der bayerische Verbraucherschutzminister Eberhard Sinner zwar, Künast müsse darauf hinwirken, die „bisherige Impfpolitik zu überdenken“. Sein Ministerium räumt jedoch ein, dass diese Idee bei der Bewältigung der aktuellen Krise nicht viel hilft.

Das Problem: Die Länder reden beim Thema Impfen über langfristige Maßnahmen, die sie aber am liebsten sofort umgesetzt sähen. Der Bund in Gestalt von Renate Künast schließlich muss in der aktuellen Krise auf dem EU-Verbot der Impfung bestehen. Deshalb entsteht der Eindruck, als sei Künast für das Schlachten und die Länder wollten die Tiere retten. Die Länder sind für die Umsetzung der Impfung zuständig. „Bisher habe ich von den Ländern keinen Impfplan gesehen“, sagt Bundeslandwirtschaftsministerin Künast. In der Tat liegen in den Länderministerien noch keine Pläne auf dem Tisch. Doch bei grünem Licht könne man „in wenigen Stunden“ mit einer Impfaktion beginnen, heißt es.

Kommt die Seuche, sind die Ministerien für den Dreistufenplans bei MKS zuständig: Tiere töten und Hof schließen. Doch die Länder fürchten auch, für die dann nötigen Tötungsaktionen die Verantwortung tragen zu müssen. Und wenn MKS in den „Fleischgürteln“ von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zuschlägt, müssen die LänderministerInnen die Keulung von vielleicht Hunderttausenden Tiere anordnen. Davor graut es den Politikern.

Das Prinzip Hoffnung regiert: Hoffnung, dass MKS nicht so zuschlägt wie in England und dass Künast die EU-Länder auf eine Änderung der Impfpolitik einschwören kann. Doch gegen eine schnelle Änderung der EU-Politik sprechen massive wirtschaftliche Interessen: Dänemark etwa ist ein großer Exporteur von Schweinefleisch nach Japan und Nordamerika und würde bei Impfungen diese Märkte verlieren. Auch Irland setzt auf sein Schweinefleisch, warnen Experten. Und EU-Verbraucherkommissar David Byrne ist Ire.

Die EU hat das Impfen vor zehn Jahren aufgegeben, weil es ihr zu teuer war. In einer Kosten-Nutzen-Analyse berechneten die Experten 1991, dass es billiger sei, bei MKS das „Ausstampfen“ zu praktizieren: schnell und im weiten Radius die Tiere zu töten. Noch im März erklärte die EU-Kommission stolz, der Verzicht auf das Impfprogramm habe insgesamt 2 Milliarden Mark gespart.

Entgegen der Prognose ist die Seuche zehn Jahre später mit aller Macht ausgebrochen. Die umgerechnet 2 Milliarden Mark Einsparungen stehen den Kosten der Seuche gegenüber, die allein in Großbritannien auf bis zu 30 Milliarden Mark beziffert werden.