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Medea zum Mitsingen

■ Gastspiel: Oscar van Woensels „MedEia“ auf Kampnagel

Die antike Tragödie der Medea, die ihre beiden Söhne tötet, um sich an ihrem Mann Iason zu rächen, weil er sie verlassen hat, hat unzählige Textbearbeitungen erfahren. Letzte Woche gastierte Oscar van Woensel mit seinem Theaterkollektiv Dood Paard aus Amsterdam auf Kampnagel, um seine Bearbeitung des Stoffes vorzustellen.

MedEia beginnt mit einer leeren, mehrfach zerrissenen Papierleinwand, die aber immer wieder zusammengetapet wurde. Davor pos-tiert: der antike Chor, aus dessen Sicht van Woensel die Geschichte erzählt. Aber: „Nobody can hear me, or everybody pretends I'm not there.“

Also muss das Publikum als Zuhörer herhalten. Der dreistimmige Chor (Kuno Bakker, Manja Topper, Oscar van Woensel) ruft und sucht nach Medea, wechselt kurzzeitig die Rollen für die knappen Dialoge, auf die die dramatische Handlung zusammenschrumpft. Doch es ist das meist starre, beinah zwanghafte Runterrattern des Textes, das im Zuhörer Beengung und Unwohlsein erzeugt.

Nach jeder der vier Szenen wird der Papiervorhang heruntergerissen und geht zu Boden; eine neue leere Papierleinwand wird hochgezogen. Der Chor macht einen Schritt nach vorne; er rückt unablässig näher ans Publikum und bedrängt es mit seiner Tatenlosigkeit. Ein neues Blatt Papier bedeutet neues Reden.

Van Woensel hat seinen Text bewusst in kurzen, prägnanten Sätzen auf Englisch verfasst, um den Stoff leicht verständlich zu machen, quasi zum „Mitsingen“. Die eingeflochtenen Zitate aus Popsongs (Beatles, Doors) sorgen dabei im Publikum für Schmunzeln. Aber dank des strengen, an Beckett gemahnenden Sprachduktus und der sparsamen Gestik driftet das Stück nicht in ein beliebiges, locker-lustiges Pop-Stückchen ab, sondern bleibt bei der klassischen Dramatik: Lieben, Klagen, Hassen, Töten, Schmerz mit Schmerz vergelten.

„Love is the most destructive of all emotions“, heißt es an einer der etwas ruhigeren Stellen. „The more you want, the more you get“ – lakonisch kommentiert der dreistimmige Chor jede aufkeimende Euphorie bei Medea. Doch auch mit seinen kurzen, freudigen Ausrufen („ohblahdi ohblahda“) kann er das tragische Ende nicht abwenden.

Schließlich setzt Oscar van Woensel mit „Everyone who doubted me I'm just saying: Fuck you“ der Tragödie einen wohltuend sinnfreien Schlusssatz, der keinen Widerspruch duldet. Am Ende sacken die Schauspieler wie Marionetten in sich zusammen. Das Papier ist zerrissen, die Geschichte erzählt, der Chor hat kapituliert.

Christian T. Schön

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