Nazi verliert seinen Schild

Carl Diem soll wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reich nicht mehr Namensgeber eines Ehrenpreises der deutschen Leichtathleten sein. Dagegen regt sich nun Protest

KÖLN taz ■ Ulrich Jonath ist entsetzt. Für den ehemaligen Bundestrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) steht fest: Die DLV-Funktionäre führen eine böswillige Hetzkampagne gegen das Lebenswerk Carl Diems. „Der Verband distanziert sich vom größten deutschen Sportführer dieses Jahrhunderts“, empört sich der 71-Jährige, der als Student den Lehrer Diem verehrte. Schockiert erfuhr Jonath von der Entscheidung des Verbandes, ihren „Carl-Diem-Schild“ in einen „DLV-Ehrenschild“ umzutaufen. Der Preis für die Anerkennung langjähriger ehrenamtlicher Tätigkeiten in der Leichtathletik soll ab 2002 nicht mehr mit dem Namen des 1962 verstorbenen Diem in Verbindung gebracht werden. Unter seinem neuen Präsidenten Clemens Prokop distanziert sich der DLV somit von seinem zweiten Präsidenten (1908 bis 1913).

Zu unehrenhaft ist den Funktionären Diems Lebenswerk. Diese Entscheidung will Jonath nicht akzeptieren: Der „Carl-Diem-Schild“-Preisträger von 1979 gab unverzüglich und unter Protest die ihm verliehene Auszeichnung an den Verband zurück. „Der Beschluss ist den Verdiensten Diems nicht würdig“, begründet er seine Entscheidung. Schmerzlich fiele ihm die Rückgabe, immerhin habe er den Preis für 20-jährige Beschäftigung als DLV-Bundestrainer und für die Leitung des Fachbereichs „Leichtathletik“ an der Deutschen Sporthochschule (DSHS) in Köln erhalten. „Der Verband folgt in opportunistischer Weise einem unreflektierten Trend des Zeitgeschehens“, ist der ehemalige Diem-Schüler überzeugt. „Dem muss man entgegensteuern.“

Eine Meinung, die wenige teilen. Der von DLV-Vizepräsident Rüdiger Nickel eingebrachte Antrag wurde von der Versammlung einstimmig angenommen. Und auch Prokop sieht Handlungsbedarf: „Die Umbenennung war an der Zeit. Diems Schaffen in der NS-Zeit ist mehr als umstritten.“

Der DLV reagierte durch sein Votum als erster Verband auf jahrelang aufkeimende Kritik an Diem. Nachdem der Organisator der Olympischen Spiele 1936 lange Zeit als ein bedeutender Olympier galt, ist er zunehmend in Missbilligung geraten. Grund hierfür war eine Aussage vom ehemaligen ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel. Dieser hatte berichtet, er habe als 17-Jähriger im März 1945 einen flammenden Appell Diems an tausende von Hitlerjungen miterlebt; dabei habe Diem die Jugendlichen auf dem Berliner Reichssportfeld aufgefordert, „den Opfertod nicht zu scheuen und wie Helden zu sterben“.

Die Bereitwilligkeit Diems bei der Gleichschaltung des Sports durch die Nationalsozialisten wird ihm heute von vielen als Mittäterschaft attestiert. Doch die Vorwürfe blieben ohne Konsequenzen: Straßen, Turnhallen und Preise sind noch heute nach Diem benannt.

Nickels Antrag aber fußte auf neuen Fakten, die von Achim Laude und Wolfgang Bausch in ihrem Buch „Der Sportführer. Die Legende um Carl Diem“ erhoben wurden. Die Buchautoren zeigen in ihrer jüngst erschienenen Publikation auf, dass die Berliner Rede nur der logische Schluss einer politischen Gesinnung war. „Durch die neuen Erkenntnisse war es nicht schwer, die Mitglieder von einer Notwendigkeit einer Umbenennung des Ehrenpreises zu überzeugen“, berichtet Nickel.

Laude und Bausch erläutern, dass Diem im Zweiten Weltkrieg als „Außenminister des deutschen Sports“ fungierte. Die Loyalität gegenüber dem deutschen Vaterland sei ihm „wichtiger gewesen als die Wahrheit und der olympische Gedanke“. Als Auslandsbeauftragter des NS-Sportverbandes habe Diem von Dezember 1939 bis Januar 1942 über 270 internationale Wettkämpfe auf deutschem Boden genehmigt, um das Regime propagandistisch zu unterstützen. Diem soll darüber hinaus mehr als „100 Vorträge im Rahmen der Wehr- und Truppenbetreuung“ gehalten haben, die sich nur wenig von der Berliner Rede unterschieden.

Nach Kriegsende sei es Diem wie „kaum einem anderen“ gelungen, Spuren der NS-Ideologie im deutschen Sport wie in seiner Vita zu verwischen.

Die Entscheidung des DLV, den „Carl-Diem-Schild“ umzubenennen, ist für Buchautor Laude ein erster Schritt, den umstrittenen Sportfunktionär zu entmystifizieren. Laude fordert nun „eine Reaktion des Deutschen Sportbundes“. Dieser vergibt die „Carl-Diem-Ehrenplakette“.

CHRISTOPH BERTLING