Kuscheln mit Kiefer

Nach dem 1:4 in den Niederlanden stellt das deutsche Davis-Cup-Team fest, dass man auch ohne Haas auf dem Platz zu viel Haas daneben haben kann

aus ’s-Hertogenbosch DORIS HENKEL

Die Sieger ließen die Korken knallen, setzten sich Hüte auf und fielen sich freudetrunken in die Arme. Die Niederlande führten bereits nach dem samstäglichen Doppel im Davis-Cup-Viertelfinale in ’s-Hertogenbosch uneinholbar mit 3:0 gegen das deutsche Team, die gestrigen Einzel waren bedeutungslos – und somit auch der einzige deutsche Sieg von Nicolas Kiefer über Raemon Sluiter (3:6, 6:2, 6:3) zum 4:1-Endstand.

Für die Verlierer begann die Fastenzeit, und sie begann mit Erkenntnissen, die wie altes Brot schmecken, wie schales Wasser oder wie beides zusammen. Die Lage im deutschen Team nach der ernüchternden Niederlage: große Gelegenheit vertan, nach sechs Jahren mal wieder das Halbfinale zu erreichen; kein Fortschritt zu erkennen; atmospärische Störungen; Spieler mit lähmender Angst vor der eigenen Courage und ein ratloser Teamchef.

Mit der Niederlage des Doppels Knippschild/Prinosil gegen Haarhuis/Schalken war die Angelegenheit am Samstagnachmittag schon entschieden. Wäre Jens Knippschild mit seinem engagierten Auftritt nicht gewesen, hätten sie vermutlich nicht mal den einen Satz gewonnen, denn David Prinosil wirkte so nervös und verkrampft wie am Tag vorher bei der Einzel-Niederlage gegen den sichtlich motivierten Ersatzmann Raemon Sluiter.

Das niederländische B-Team ohne den Star Richard Krajicek, geschwächt durch die Verletzung des zweitbesten Einzelspielers, Sjeng Schalken, erschien als spielfreudige Einheit im Geiste und in Orange. Zusammen feierten sie den ersten Sieg gegen den großen Nachbarn im siebten Spiel, zum ersten Mal überhaupt stehen sie nun im Halbfinale des Davis Cups, und mit einem weiteren Heimspiel im September werden sie der Kasse ihres Verbandes eine Menge Gutes tun.

Bei den Deutschen hingegen sieht es so aus, als seien sie seit der letztjährigen Viertelfinal-Niederlage in Australien keinen Schritt vorangekommen. Ohne Tommy Haas fehlt ein Spieler, der sich von der eindrucksvollen Atmosphäre nicht einschüchtern, sondern inspirieren lässt. Prinosil hat dem Team mit zwei Niederlagen im Einzel und einem zittrigen Auftritt im Doppel keinen ganz großen Dienst erwiesen.

Doch ob der Kollege Haas in jeder Hinsicht eine Hilfe für die Stimmung in der Mannschaft ist? Während Kiefer am Freitag spielte, rührte er zur Unterstützung draußen ebenso wenig eine Hand wie der Rest der Truppe. Auf Kiefers Klage über diese Tatsache reagierte Haas genervt mit dem Konter, zuerst müsse sich mal der Spieler auf dem Platz engagieren, bevor er Gleiches von den Leuten auf der Bank fordern könne. Aber das Team hat es ja nicht nur mit einem Haas zu tun; Spielervater Peter hat auch diesmal jede Gelegenheit genutzt, Öl in den Schwelbrand zu kippen.

Kiefers Vorwurf, der vor allem an Kapitän Carl-Uwe Steeb gerichtet war, wurde zwar am Abend mal eben in zehn Minuten diskutiert, und das führte zu einer sichtlichen Besserung der Kommunikation während des Doppels, doch das grundsätzliche Problem bleibt weiter bestehen. Kiefer sagt über Steeb, der sei nun mal ein ruhiger Typ. Steeb sagt über Kiefer, so wie manche Spieler zu emotional seien, liege der eher darunter. Einig sind sie sich immerhin in einem Punkt: „Der kann nicht anders“, sagt der eine vom anderen, aber der Gedanke bringt auch nur bedingt Wärme ins Team.

Wer weiß, ob Kiefer eines Tages im Davis Cup so spielen wird, wie es seiner Klasse entspricht. „Irgendwann wird der Knoten noch platzen“, sagt er, „und dann geht’s erst richtig los.“ Wobei die Tatsache, dass er Spiele verliert, weniger schwer wiegt als das Wie. Und als die phrasenhaften Erklärungen: Dass man Fehler zugeben kann, ohne deshalb zwangsläufig für einen Schwächling gehalten zu werden, das hat ihm offensichtlich noch keiner vermitteln können.

Immerhin, meint der Teamchef, hätten nun alle begriffen, dass ohne größeren Zusammenhalt kein Erfolg möglich sei, und das sei doch zum Schluss ein positiver Aspekt. Doch bis zum nächsten Auftritt der Mannschaft im Davis Cup werden zehn Monate vergehen; in zehn Monaten kann man viel vergessen.

Jan Siemerink - Nicolas Kiefer 6:3, 7:6 (7:5), 3:6, 6:3; Raemon Sluiter - David Prinosil 6:1, 6:3, 7:6 (7:3); Paul Haarhuis/Sjeng Schalken - Prinosil/Jens Knippschild 6:3, 6:4, 4:6, 6:2; Siemerink - Prinosil (Amberg) 7:6 (7:4), 7:5; Sluiter - Kiefer 6:3, 2:6, 3:6