Tote zum Demokratiejubiläum

In Nepal eskaliert die Gewalt maoistischer Rebellen und verdeutlicht drastisch die Mängel der Demokratisierung der letzten elf Jahre. Die Maoisten zielen jetzt auch auf den Tourismussektor, der die wichtigste Devisenquelle des armen Landes bildet

von BERNARD IMHASLY

In Himalaja-Königreich Nepal ist gestern zum elften Mal des Sieges der Demokratie im Jahr 1990 gedacht worden. Doch zum Feiern war nur wenigen zumute. In den vergangenen Tage hatte eine in diesem Ausmaß bisher noch nie dagewesene tödliche Welle der Gewalt das arme Land erschüttert. Am Freitag hatte zudem ein vom Untergrund ausgerufener Generalstreik die Städte lahm gelegt. Auch der Tourismus, wichtigste Devisenquelle des Landes, kam weitgehend zu Erliegen, nachdem die maoistische Guerilla Reisebüros mit Gewalt gedroht hatte.

Der Arbeitsausstand am Freitag bildete das Ende einer Woche, in der mehr Menschen als je zuvor im fünfjährigen Kleinkrieg getötet wurden. 55 Personen, darunter 45 Polizisten, kamen seit Wochenbeginn ums Leben, als Maoisten in Rumkot und Musikot in Nepals Westen befestigte Polizeistationen angriffen. Seitdem die maoistischen Rebellen – meist Studenten, radikale Bauern und ehemalige Aktivisten linksradikaler Parteien – 1996 im westlichen Distrikt Rolpa begannen, mit Gewalt für die Errichtung einer Bauernrepublik zu kämpfen, sind offiziell über 1.600 Menschen dem Konflikt zum Opfer gefallen.

Inzwischen kontrolliert die Guerilla weitgehend die vier Bezirke Rolpa, Rukum, Jajarkot und Salyan. Dort hat sie eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit eingeführt und die erhobene Faust des „Roten Salaam“-Grußes hat die anderen Parteisymbole verdrängt. In weiteren 35 (der insgesamt 75) Distrikten ist sie aktiv, die Zahl ihrer bewaffneten Kämpfer wird mittlerweile auf bis zu 25.000 geschätzt. Die jüngste Angriffswelle ist für viele Nepalesen ein Schock. Denn in den letzten Monaten war die Hoffnung gewachsen, dass es vermittelnden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gelingen könnte, beide Seiten zum Verhandeln zu bewegen. Eine erster Kontakt im letzten November kam aber nicht zustande, nachdem die Regierung die von den Maoisten geforderte Freilassung von zwei Rebellenführern zwar erfüllte, diesen Akt aber zu einer Show gegen die Guerilla missbrauchte. In einem zweiten Anlauf Anfang März veröffentlichte die Regierung die von der Gegenseite geforderte Liste von 302 verhafteten Kämpfern. Doch dies Mal war es das Fehlen zahlreicher Namen, das die Maoisten zum Rückzug bewegte. Im Februar hatte der Beschluss eines Kongresses der Untergrundpartei Hoffnungen geweckt, der die Bildung einer „Allparteien-Regierung für die Schaffung einer neuen Verfassung“ vorsah.

Über ein Jahrzehnt nach dem Sturz der absoluten Monarchie hat sich das demokratische System immer noch nicht eingespielt. Die bitteren Rivalitäten innerhalb der regierenden Kongress-Partei unter Premierminister G. P. Koirala wie auch zwischen ihm und seinen ehemaligen Verbündeten innerhalb der parlamentarischen Linken haben den Staat im Kampf gegen die Gewalt geschwächt. Die gesamte winterliche Sitzungsperiode des Parlaments fiel aus, weil die Linke, von Kongress-Rivalen Koiralas insgeheim unterstützt, die Parlamentsarbeit systematisch störte. Dies blockierte die Einführung von Gesetzen zur Bildung einer Anti-Terror-Einheit und für neue Verwaltungskader. Sie sollten die Schlagkraft der Polizei erhöhen und die Administration in den Bezirken verbessern, um den Maoisten das Wasser abzugraben. Deren Erfolg erklärt die extreme Armut der ländlichen Bevölkerung, die von elf Jahren Demokratie höchstens ein geschärftes Bewusstsein ihres Schicksals gewonnen hat. Zulauf haben die Rebellen insbesondere unter der jungen Landbevölkerung, die den Kampf gegen ungeliebte Großgrundbesitzer und korrupte Lokalpolitiker gut heißt.