Offenes Falschspiel im Kreml

Bei seinen durchsichtigen Manövern gegen den unabhängigen Fernsehsender NTW entpuppt sich Russlands Präsident Putin als flunkernder Spion – und lässt über die Zivilgesellschaft diskutieren

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Die Weltgesellschaft hat nun endgültig die Nase voll. Kurzerhand enthebt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Präsidenten des notorisch säumigen Schuldners Russland seines Amtes. Entlassungsgrund: ineffektives Management. Vorübergehend übernimmt den Laden Krisenmanager Bill Clinton ...

Mit diesem Szenarium antwortet die Satiresendung „Kukly“ (Puppen) des TV-Senders NTW auf den Versuch des Kreml, den einzigen nichtstaatlichen landesweiten Kanal unter seine Fittiche zu zwingen. Auf einer umstrittenen Aktionärsversammlung letzte Woche setzte der russische Rohstoffkonzern und Gläubiger Gasprom den Direktor und Chefredakteur von NTW, Jewgeni Kisseljow, in einem Handstreich ab – mit Hilfe eines amerikanischen Kleinaktionärs, der dem staatlichen Konzern Gasprom eine Mehrheit an NTW von knapp einem halben Prozent sichert.

Hohe Schulden

NTW ist in der Tat hoch verschuldet. Und dem Gründer und Mehrheitseigner der Media-Most-Gruppe, Wladimir Gussinski, der vor den russischen Strafverfolgungsbehörden ins spanische Exil geflohen ist, lassen sich mit Sicherheit einige krumme Machenschaften nachweisen. Wie allen Finanziers, die sich beim Goldrausch der Privatisierung schamlos bereichert haben.

Der Groll der Macht richtet sich indes allein gegen den kremlkritischen Medienkonzern. Er hat es gewagt, die Brutalität und Aussichtslosigkeit des Feldzuges in Tschetschenien anzuprangern, und verhält sich sonst auch nicht so, wie es der Kreml gerne sähe. Kurzum, es geht um Loyalität, nicht allein ums Geld. Seit einem Jahr versucht der Kreml, den unliebsamen Sender in die Knie zu zwingen. Staatsanwaltschaft, Steuerpolizei und Geheimdienst hatten alle Hände voll zu tun, doch der ausbleibende Erfolg zeugt nicht vom strategischen Geschick der Erfüllungsgehilfen. Putin schweigt zu alldem – wie immer in schwieriger Situation. Längst ist indes klar, dass Gasprom nur im Auftrag des Kreml handelt.

Was treibt nun den immer noch sehr populären Staatschef, einen ebenso beliebten TV-Kanal mit alttestamentarischem Hass zu verfolgen? Verspricht er sich etwas davon, Russland wieder mit einem Netz geschwätzigen Schweigens zu überziehen? Und wie soll die Öffentlichkeit die Ungeheuerlichkeit deuten, dass die Häscher des Kreml just in jenem Moment gegen NTW vorgehen, da der Präsident seinen jährlichen Bericht zur Lage der Nation vor dem Parlament hält: eine Rede, in der Putin die Korruption der Bürokratie anprangert und die Reform des ineffektiven Justizwesens zum Angelpunkt jedes weiteren Fortschritts erhebt.

Theorie und Praxis

Inzwischen hat der Präsident mehrfach vorgeführt, dass Wort und Tat in seinem Denken nicht miteinander korrespondieren. Das eine ist Theorie, das andere Praxis. Entscheidend bleibt indes: Der klaffende Unterschied stellt ihn nicht vor ein Glaubwürdigkeitsproblem. Der Zögling des sowjetischen Geheimdienstes ist in seinem Innern ein flunkernder Spion geblieben, der mühelos von der einen in die andere Legende schlüpft. Recht ist, was der Sache dient. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die von Gasprom eingesetzten neuen NTW-Chefs , der ehemalige Privatisierungsminister Alfred Koch und der Amerikaner russischer Herkunft Boris Jordan, Leute von zweifelhaftem Ruf sind. Kein Bürger würde von ihnen jemals einen Gebrauchtwagen erwerben wollen.

Die Quelle der Kritik hätte sich geschickter trocken legenlassen. Ohne den Protest aufgeklärter Bürger zu schüren, die inzwischen – auch am vergangenen Wochendende – zu Tausenden auf die Straße gehen – und ohne das Ausland unnötig misstrauisch zu machen.

So weit reicht das Selbstbewusstsein des Kreml scheinbar nicht. Putin handelt nicht aus Stärke, der stümperhafte Vernichtungsfeldzug signalisiert eher Angst und Schwäche. Auch seine Entourage wird kaum mäßigend auf den Kremlchef einwirken, sie könnte gar ein anderes Kalkül verfolgen. Verschwindet NTW von der Bildfläche, gibt es in Russland keine Instanz mehr, die der Korruption der Staatsmacht auf den Zahn fühlt. Mit Putin sind viele junge hungrige Bürokraten zu Würden gelangt, die beim ersten Druchgang der Privatisierung nicht bedacht wurden. NTW und Media Most sind längerfristig Filetstücke für die künftige, politisch genehme Unternehmergeneration.

Nun treffen sich im Rahmen des „Petersburger Dialoges“ seit gestern hochrangige Vertreter Russlands und Deutschlands, darunter der Bundeskanzler, um den Austausch der Zivilgesellschaft zu vertiefen. Doch der ohnehin schwachen zivilen Gesellschaft hat Putin im letzten Jahr bereits den Krieg erklärt. Er löste das Gremium auf, das bisher zwischen Kreml und Gesellschaft ein Bindeglied herstellen sollte. Der Schlag gegen NTW ist dessen logische Fortsetzung.

Dialog der Zivilgesellschaften. Gewöhnlich beginnt eine Diskussion mit der Klärung der Begriffe.