DIE ATOMENERGIE FINANZIERT DIE EINKAUFSTOUR DER STROMKONZERNE
: Riskante Expansion

Die Vorspeise – so eine lapidare kulinarische Grundregel – ist dazu da, den Appetit anzuregen. Die deutsche Stromwirtschaft jedenfalls ist auf den Geschmack gekommen. Nach den nationalen Fusionen im vergangenen Jahr – Viag und Veba zu Eon, die Übernahme der VEW durch RWE – waren die beiden größten deutschen Energiekonzerne auf Rang drei und vier in Europa vorgestoßen – nach Électricité de France (EdF) und Italiens Enel.

Seitdem gilt den Deutschen Europa in den Kerngeschäften Strom, Gas und Wasser als „Heimatmarkt“. Zuletzt ging für 700 Millionen Mark die niederländische Odragas Holding über den RWE-Einkaufstisch, für mehr als zwei Milliarden das US-Wasserunternehmen „E-ton“, für stolze 22 Millarden Mark der britische Wasserversorger Thames Water. Zwar stand das Expansionsstreben von Eon bislang dem von RWE nicht nach. Allerdings war Eon längst nicht so erfolgreich.

Das könnte sich nun ändern. Gestern kündigte Eon an, den britischen Versorger Powergen zu übernehmen. Ein Deal mit neuer Dimension – sowohl was die Strategie als auch den Kaufpreis betrifft: Dank den auch in den USA tätigen Briten wird den Deutschen der attraktive amerikanische Wachstumsmarkt geöffnet. Das lässt man sich schon mal umgerechnet 30 Milliarden kosten.

Angesichts dieser Summen erheben sich zwei Fragen: Wer soll das bezahlen? Und: Wo führt das hin? Die Beantwortung der ersten fällt leicht: Zum einen haben die beiden Stromgiganten seit der Marktliberalisierung die besten Gewinnzuwächse erzielt. Zum anderen ist die Einkaufskasse dank der steuerfreien Rückstellung für die AKW-Betreiber prall gefüllt. Allein Eon werden bis zu 40 Milliarden Mark zugeschrieben – angehäuft für einen späteren Rückbau der stillgelegten AKW. Bis es so weit ist, lässt man das Geld erst mal arbeiten. Was aber, wenn sich der Einkauf als Flop erweist? Wenn sich der Unternehmenswert, und damit das Rückbaugeld, halbiert? Dann zahlen die Steuerzahler.

Die Beantwortung der zweiten Frage zeigt das Dilemma dieser Einkaufspolitik auf. Zwar können die Deutschen mit lukrativen Akquisitionen in den USA ihre Aktienkurse verbessern. Das reicht aber angesichts der eigenen geringen Kurswerte längst nicht aus, um gegen feindliche Übernahmen gefeit zu sein. Wer den wirklich großen Konkurrenten, den Ölmultis, zu nahe auf den Pelz rückt, muss nach den Gesetzen der Globalisierung damit rechnen, selbst kassiert zu werden. Schon haben die großen Ölkonzerne angekündigt, sich stärker in den Sparten Gas und Strom zu engagieren. So könnte es passieren, dass die Deutschen nach der Hauptspeise selbst zum Appetithappen werden.

NICK REIMER