Bremsklotz Deutschland

Wirtschaftsforschungsinstitute: Konjunktur auf Talfahrt. Nur Kanzler Schröder hält weiter an optimistischen Prognosen fest. Experten erwarten Zinssenkungen in der Eurozone

BERLIN taz/rtr ■ Die Konjunkturlokomotive Deutschland entwickelt sich zum Bremser in der Eurozone. Das zeigt sich aus dem Frühjahrsgutachten, das die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute heute vorstellen. Darin schreiben die Experten, dass sie für Deutschland ein Wachstum von höchstens 2,2 Prozent in diesem Jahr erwarten. Bisher hatten sie noch 2,7 Prozent für möglich gehalten.

Die Europäische Zentralbank (EZB) fürchtet bereits, dass damit ein Wachstum von 3 Prozent für die Eurozone nicht mehr erreicht wird. Deutschland steuert als größte Volkswirtschaft rund ein Drittel zur Wirtschaftskraft der Eurozone bei.

Italien geht von einem Wachstum von 2,7 Prozent aus, Frankreich sogar von 2,9 Prozent. Die kleineren Mitgliedsstaaten stehen noch besser da: So rechnet man in den Niederlanden derzeit mit rund 3,3 Prozent, in Luxemburg mit 5,2 Prozent, in Irland sogar mit 8,8 Prozent Wachstum.

Ottmar Issing, Chefvolkswirt bei der Europäischen Zentralbank, hatte bereits Ende März „Reformen auf dem Arbeitsmarkt“ angemahnt. Ungeachtet dessen kündigte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dieter Schulte, eine „heiße Tarifrunde“ an. In einem Interview mit der Bild-Zeitung ermahnte Schulte die Regierung, den Arbeitsmarkt im Osten stärker zu fördern.

Trotz der immer schlechter werdenden Konjunkturprognosen hielt der Bundeskanzler auch gestern an seiner Wachstumsprognose von „zweidreiviertel Prozent“ fest. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt und CSU-Chef Edmund Stoiber warfen dem Kanzler „Schönfärberei“ und „Gesundbeten“ vor. Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) hingegen betonte, auch ein 2-prozentiges Wachstum sei immer noch deutlich mehr als in den 90er-Jahren.

Angesichts der sich abschwächenden Konjunktur rechnen die meisten Finanzexperten damit, dass die EZB ihre Leitzinsen morgen senken wird. Die EZB ist die einzige der großen Zentralbanken, die noch nicht auf die sich abzeichnende Wirtschaftsflaute reagiert hat. KK

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