Nicht immer verträglich

Hans-Olaf Henkel erinnert sich bei einem Besuch im Rauhen Haus seiner Schulzeit  ■ Von Gernot Knödler

Auch Hans-Olaf Henkel, bis zum vergangenen Jahr Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), war mal jung und wild. Nikita Chruschtschow, Papst Johannes XXIII. und Fidel Castro seien einige seiner Vorbilder gewesen, bekannte der ehemalige Chef von IBM-Europa gestern vor der Jahrgangsstufe zwölf der Wichern-Schule im Rauhen Haus. Chruschtschow wegen der Entstalinisierung, Johannes wegen seiner Kirchen-Reform und Castro, weil dieser mit einem Dutzend Kampfgefährten ein ganzes Land aufmischte. Später schob er noch den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, seine Mutter und Ludwig Erhard, den Vater des bundesdeutschen Wirtschaftswunders nach – „Leute, die den Mut zur Wahrheit haben“. Aber da war aus dem Blüten träumenden Hans-Olaf längst der schnell aufsteigende Nachwuchs-Manager eines Computer-Giganten geworden.

Ein halbes Jahr verbrachte Henkel als 14-Jähriger im Internat des Rauhen Hauses. Damals, 1954, hieß es noch „Erziehungsanstalt für Kinder und Jugendliche“ und hatte den Ruf, seine Zöglinge „ein bisschen härter“ anzufassen, wie Pastor Dietrich Sattler, der heutige Vorsteher der Stiftung Rauhes Haus freimütig einräumt. Henkel zufolge hat es dem kleinen Hans-Olaf nicht geschadet: „Deswegen hat mich meine Mutter hier auch rein gebracht“, sagte er.

Der Halbwaise hatte bis zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Schulwechsel hinter sich. Seine Mutter führte das Unternehmen des verstorbenen Vaters fort und hatte kaum Zeit, sich um ihr Kind zu kümmern. Der Junge werde vom Hauspersonal betreut, hieß es in einem Gutachten der Vorgänger-Schule, er neige zu Oberflächlichkeit, sei unkonzentriert und „im Umgang mit Kameraden nicht immer verträglich“. Empfehlung des Gutachters: die Einweisung in ein Internat.

An das halbe Jahr im Rauhen Haus konnte sich der Ex-BDI-Chef zwar nur durch das Blättern in einem Band mit alten Dokumenten erinnern. Trotzdem hat es angeblich eine Wende in Henkels Leben bewirkt, „weil ich den Zusammenhang zwischen einer Investition in Lernen und einem Zuwachs an Freiheit gelernt habe“, so Henkel.

Sein damaliger Betreuer, der Diakonschüler Horst Schönrock, habe ihm beigebracht, sich nicht vor den Schularbeiten zu drücken. Wer fertig war, durfte raus zum Handball spielen; wer spurte, konnte am Sonntag nach Hause. „Relativ schnell habe ich gemerkt, dass man durch ordentliches Betragen aufsteigen konnte“, sagte er.

Henkels Schüler-Karriere endete trotzdem mit der Mittleren Reife. Nach einer kaufmännischen Lehre studierte er als einziger Unternehmersohn an der gewerkschaftsnahen Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP), um danach mit Glück und Dreistigkeit in ein Management-Training-Programm von IBM aufgenommen zu werden.

Was er heutigen AbiturientInnen rät? – So schnell wie möglich die gewünschte Ausbildung abschließen und, sofern einer in die Wirtschaft wolle, so schnell wie möglich ein Unternehmen gründen. Kriterien für die Berufswahl? – Man müsse Spaß daran haben, „es können“ und seinen Lebensunterhalt damit verdienen. Für alle, die das schwierig finden, hatte er allgemeinen Trost parat: „Sie haben es viel schwerer als ich damals.“