Liebesduette mit dem Sex-Monster

■ Warum ruft diese Madame Butterfly nicht die Polizei? Michael Sturm deutet Puccinis Oper in Bremerhaven als Allegorie auf den Sex-Tourismus um und geht damit baden

Am Ende des zweiten Aktes blicken drei Schiffbrüchige auf einem traurigen Floß durch Plastikbecher-Fernrohre in Richtung Amerika. Ihr amerikanischer Traum ist verlogen und verloren. Dies ist das einzig kräftige Bild in einer Inszenierung, mit der der junge Gastregisseur Michael Sturm die Oper „Madame Butterfly“ so sehr beschneidet, dass sie zum Trivialkitsch à la Regenbogenpresse wird.

Michael Sturm macht aus dem US-Marineleutnant Pinkerton, der vor 100 Jahren in der exotischen Ferne einer japanischen Hafenstadt die schöne, junge Geisha Cio-Cio-San wie einen Schmetterling einfängt und damit ihr Leben zerstört, einen schmierigen Sex-Touristen der Gegenwart. Jorgen Talle, der Sänger des Pinkerton, wird als häss-licher Fettsack mit klebrigen langen Haaren gezeichnet. Ein sex-geiler Monster-Mann mit Verbrecher-Visage, bei dessen Anblick man sich fragt, warum Butterfly nicht sofort die Polizei ruft, statt mit ihm allen Ernstes Liebestöne im Duett zu singen.

Die Bühne (Ekkehard Kröhn) stellt eine Mischung aus Bordell und Floß mit Segeln dar. Zwischen schwarzen, spiegelglatten Lackwänden befindet sich eine Plattform mit einem Mast in der Mitte, an dem anfangs die amerikanische Flagge gehisst und am Ende wieder abgenommen wird. Der Heiratsvermittler Goro (Christoph Kayser) ist ein Zuhälter-Typ im rosa Hemd, der dem US-Konsul Sharpless (Oscar Quezada) eine Fotosammlung nackter Frauen-Modelle hinhält.

Genau genommen kann Butterfly in diesem Milieu nichts anderes sein als eine gewöhnliche Prostituierte. Puccini aber stellt sie als leidende junge Frau dar, nicht älter als 15 Jahre, die das Werben des Amerikaners ernst nimmt, die ihre Sehnsucht vollkommen an den Fremden bindet und sich aus nicht erfüllter Liebe den Tod gibt. Irgendeine Ausstrahlung muss er doch haben, will Madame nicht einfach blind sein.

Doch Michael Sturm interessiert nicht die Liebe des Menschen Butterfly, er betont den Reiz des amerikanischen Traums, mit dem eine beliebige Nicht-Amerikanerin aus ihrer Armut und aus den Fesseln der Tradition aufzubrechen hofft. Sturm ersetzt das alte Klischee durch ein neues. Auf Butterflys Floß liegen jahrelang die Plastikbecher, der Karton mit Jim-Beam-Flaschen und die Einkaufstüte, der Krempel, mit dem Pinkerton den jungen Schmetterling eingefangen hatte, bevor er wieder in Richtung Heimat abgedampft war. Butterflys Sohn spielt mit einer Modell-Freiheitsstatue, die wie ein kleiner Hausaltar an die Spitze des Floßes gestellt wird.

Aber wäre der Freiheits-Traum alles gewesen, hätte diese Frau dann drei Jahre vergeblich auf den abgereisten Soldaten gewartet? Hätte sie nicht pragmatisch zum nächsten amerikanischen Soldaten gegriffen, schon deshalb, weil sie inzwischen auch ein Kind zu versorgen hatte? Nein, Michael Sturms Lösung überzeugt nicht.

Es ist vor allem die Musik, die diese schlichte Story nicht beglaubigt. Für ihre Farbigkeit und für ihre Spannungen findet der Regisseur keinen stimmigen Ausdruck. Es sei denn, Sturm will sie als weichen Kitsch denunzieren, als bunte Tünche über einer Sehnsucht, die keine tieferen und vor allem keine individuellen Dimensionen hat.

Elmar Fulda hat vor fünf Jahren am Bremer Theater überzeugend gezeigt, wie mit dieser Oper umgegangen werden kann, ohne auf operettenhafte Fernwehbilder zurückzugreifen. Er hat Butterfly in ein abstraktes Farbenspiel gesetzt, in dem die Farben unmittelbar zu Ausdrucksträgern der musikalischen Stimmungen wurden, Zeichen sowohl für Hoffnung wie für den Tod. In der Bremerhavener Inszenierung wirken die Bewegungen der Figuren beliebig und hölzern, die Bühnenmaschinerie lässt Segel unmotiviert auf- und niedergehen, die Tore des Bordells öffnen und schließen sich permanent, um den Blick auf schmutzige Rosa-, Blau- und Grau-Töne freizugeben. Keine Perspektive, soll das vermutlich heißen. Leider hat auch diese Inszenierung keine Perspektive. Die Japanerin Noriko Ogawa-Yatake als Butterfly hat wenig Chancen, sich gegen dieses Zwangskorsett zu behaupten. Die erwachsene Frau – mit einer angenehm warmen Stimme – muss sich wie ein albernes kleines Mädchen aufführen. Höhepunkt der Peinlichkeiten ist die Selbstmordszene, in der Madame offensichtlich nicht recht weiß, ob und wohin sie das an die Kehle gesetzte Messer bewegen soll. Ist sie am Ende tot oder nicht?

Der neue Chef-Dirigent Stephan Tetzlaff hat das Städtische Orchester bestens im Griff. Er beginnt zügig und setzt die dramatischen Akzente pointiert. Im Verlauf des Zweiten Aktes wird der Klang immer weicher und schmelziger, so dass immerhin eins bleibt: Die Augen schließen und Maestro Puccini, dem „Musiker der kleinen Dinge“, zuhören. Hans Happel

Weitere Vorstellungen: 11., 13., 15., 20., 26. und 29. April, 6., 8. und 25. Mai. Karten Tel.: 0471/49 001