Das rote Orchester

Ferngesteuert, aber gut: Ein Film über das legendäre Fußballteam von Dynamo Kiew

Was die Welt anscheinend für alle Ewigkeit in zwei Lager teilen wird, ist die Aussprache des „Dynamo“ in Fußballclubnamen. Der Westen betont das Wort vorn, der Rest der Welt richtigerweise wie den Fahrraddynamo. Allerdings war auch uns unklar, was ein Dynamo mit einem Polizeisportverein zu tun haben konnte. Dass Rotation für die Presse stand, Lokomotive für die Eisenbahn und Damenobertrikotagen Apolda für deren Fußballclub, war dagegen logisch.

Wahrscheinlich wird auch der Film „Dynamo Kiew – Legende einer Fußballmannschaft“ daran nichts ändern können. Dafür bereitet er einem das schadenfrohe Vergnügen, alte Fußballaufnahmen zu sehen. Man staunt, wie langsam sich die Spieler damals bewegt haben und wie lächerlich sie gekleidet waren. Die zu kurzen Hosen ließen viel zu viel von den nicht austrainierten Beinen sehen. Besonders uncool waren in unseren Augen natürlich immer die russischen Sportler gekleidet. Von den gescheitelten Haaren ganz zu schweigen. Aber es kam ja nicht auf Äußerlichkeiten an. Unser Sportlehrer hat uns von der westdeutschen Auswahlstaffel erzählt, wie locker und lässig die sich in ihren Adidas-Hosen die Beine ausgeschüttelt hätten, aber dann, als es an den Stabwechsel ging, hätten sie kläglich versagt, weil es ihnen zu dumm gewesen sei, so etwas zu üben. Sie hätten eben nicht als Kollektiv funktioniert.

So waren die Klischees voneinander: Für uns waren die drüben verwöhnte einzelgängerische Beineausschüttler, andersherum waren die Ostblocksportler alles ferngesteuerte Roboter. Warum man russische Roboter als Fußballspieler fürchten musste, wenn man ansonsten ihre Produktivität belächeln konnte, bleibt natürlich unklar.

„Das rote Orchester“ Dynamo Kiew gewann 1975 gegen Bayern München mit zwei souveränen Siegen den „Superkubok“. Es war die erste sowjetische Mannschaft, der das gelang, und ihr Star Oleg Blochin wurde weit vor Franz Beckenbauer Europas Fußballer des Jahres. Es gab ja angeblich eine breite Schicht in der DDR, die ihren Mannschaften aus Schadenfreude Niederlagen gewünscht hat – damals habe ich davon keinen getroffen. Mein Cousin kannte keinen einzigen meiner Helden vom BFC Dynamo. Da war man stolz, wenn Beckenbauer, als er einmal kurz vor der Wende nach Andreas Thom gefragt wurde, antwortete: „Von dem wird man noch hören.“

Heute sind die Kiewer Spieler reife Männer mit kernigen Gesichtern, die erstaunlich gut in Schuss sind. Sie sitzen mit offenem Hemd in ihren Wohnungen und bedauern ein wenig, nicht mehr von ihrer Klasse profitiert zu haben, obwohl sie doch das Label „Dynamo Kiew“ aufgebaut haben. „Wir sind zu früh geboren“, sagen die Alten. „Wir haben unseren eigenen Wert nicht begriffen.“ Trotzdem haben sie natürlich Privilegien genossen, die aus heutiger Sicht rührend wirken. Damals aber nicht. Beim Europapokal raunte man sich auf der Tribüne zu: „Wenn die jewinnen, kriegen die alle ’n Farbfernseher.“ Die Kiewer bekamen problemlos eine Plattenbauwohnung und für jedes Spiel im Ausland 75 Dollar. Aber mehr als Flugplatz, Hotel und Stadion sahen sie nicht. Jeder hatte einen Aufpasser dabei. „Wenn ihr ins Ausland geht, müsst ihr gut aussehen“, sagte Blochins Mutter. Aber die jungen Männer orientierten sich an ihren Gegenspielern und ließen sich die Haare auch etwas länger wachsen. Nie ist einer weggeblieben, die Angehörigen hätten es ausbaden müssen, sagen sie lächelnd, weil es sich von selbst versteht. Zum Trost bekamen sie nicht etwa ein Auto geschenkt, sondern durften sich eines kaufen. Aber: „Die Erinnerung der Bevölkerung zählt mehr als alles andere.“

Der zu seiner Zeit schnellste Linksaußen der Welt, Oleg Blochin, durfte als einziger mit 40 seine Karriere in Österreich ausklingen lassen. Dort zu spielen war einfach, aber zu leben musste er erst lernen. Er war noch nie in einer Bank gewesen, und als er einmal vor dem Stadion einen Strafzettel bekam, traute er seinen Augen nicht: In Kiew wäre es undenkbar gewesen, „dass Blochin einen Strafzettel bekommt“.

Im Film leider nur angedeutet werden die Probleme, die das Karriereende mit sich brachte. Manche fingen an zu trinken, sie waren ja 320 Tage im Jahr nicht zu Hause und nicht wie normale Jugendliche aufgewachsen. Rätselhaft bleibt auch, warum die Moskauer Regierung es überhaupt zugelassen hat, dass ausgerechnet der Hauptstadtclub der Ukraine der beste Klub im Land werden konnte. Trotzdem ein schöner kleiner Film über eine Zeit, in der es im Fußball noch um etwas ging.

JOCHEN SCHMIDT

„Dynamo Kiew – Legende einer Fußballmannschaft“. Regie: Alexandra Gramatke, Barbara Metlaff. Mit Oleg Blochin, Viktor Kolotow, Viktor Matwienko u.a., D 2000, 60 min. Kinos fsk, Hackesche Höfe und Nickelodeon