bezirksstolz
: Altgrünes Kreuzberg

Es gibt sicher Orte in Deutschland, die sich für ein „Kneipengespräch“ zum Thema „deutscher Nationalstolz“ eignen – etwa die Bundestagskantine oder das Münchner Hofbräuhaus. Wenn aber ein Abgeordneter der Grünen im Bundestag sich eine kontroverse Debatte erhofft und wenn sein eigener Wahlkreis Kreuzberg heißt, dann ist der am wenigsten geeignete Ort auf jeden Fall Kreuzberg.

Hans-Christian Ströbele hat sich trotzdem für diesen Ort entschieden. Mit der provozierend gemeinten Ankündigung „Stolz, ein Kreuzberger zu sein?!“ kann man selbige aber offenbar nicht hinter dem Ofen hervorlocken. Während draußen am Kottbusser Tor orientalisches Genudel aus geöffneten Autofenstern und Dönerbuden die Junkies in die abendliche Dämmerung wiegt, schleichen nur etwa 25 Gestalten, denen man das schon ausgebleichte Parteibuch anzusehen meint, ins Café Schwarze Kunst in der Adalbertstraße. Drahtige Frauen mit bedruckten Stofftaschen, ganz vogelgesichtig geworden in zwanzig Jahren Emanzipationskampf, die Männer entweder jung mit Mecki-Schnitt und Brille oder älter mit grauen Zotteln.

Stolz auf Deutschland ist hier niemand. Zumindest nicht, wenn man fragt. Und ein angegrauter Zuhörer, der nach eigenen Angaben so alt ist, wie er aussieht, und deshalb theoretisch in die Gruppe der 72 Prozent über 60-Jährigen gehört, die stolz auf Deutschland sind, beendet das gerade andiskutierte Thema mit der knappen Bemerkung, er könne nicht verstehen, warum man sich diese Diskussion überhaupt aufdrücken lasse.

Das Publikum ist erleichert und redet statt über sich lieber über andere und anderes: über NPD-Verbot (Ströbele ist dagegen) und Jugendsozialarbeit (Ströbele ist dafür). Wer sich tagsüber beim Fußballspielen verausgabt, kann sich abends nicht mehr mit seiner Kameradschaft betrinken, meint Ströbele. Und in die Schulbücher muss rein, dass nicht Hannelore und Franz sich auf dem Spielplatz treffen, sondern Ali und Aische, fordert sein Parteikollege Özcan Mutlu.

Außerdem erfährt das Publikum, dass Ausländer immer noch nicht Schornsteinfeger werden dürfen und die rot-grüne Koalition schon lange ein Anti-Diskriminierungsgesetz plant, und das kommt, verspricht Ströbele.

Dann ist die Luft aus der kritischen Basis irgendwie raus, und man setzt sich mit dem Özcan und dem Christian gemütlich zum Bier zusammen. Letzterer muss sich von einem in die USA ausgewanderten grauzotteligen Altlinken einen ganzen Gemüseeintopf ans Ohr reden lassen, weil der nämlich beklagt, bei seiner ersten Liebesnacht in Key West von Fernsehberichten aus Deutschland gestört worden zu sein, über die „schlimmen Nattsis“, wie er sagt.

Ganz angestrengt richtet Ströbele seine Augenbrauenbüsche knapp an dem Key Westler vorbei, bis ihn einige treue Basismitglieder wieder zurückholen, denn auf eines, das wollten sie ihm noch mal sagen, seien sie ja doch stolz, nämlich „so einen wie ihn“, den Ströbele zu haben. Und da muss auch Key West fröhlich einstimmen: „Solange du dabei bist, Christian, sprengen wir die Grünen nicht in die Luft.“ JULIA HARBECK