Der ideale Kultursenator

Ein Jahr nach seiner Wahl hat Christoph Stölzl die Erwartungen der Berliner Landespolitiker vollauf erfüllt: Konfliktscheu und wenig durchsetzungsfähig ließ er sich von den Koalitionsparteien herumschubsen. Von Reformen ist längst keine Rede mehr

Mit seinem Redeschwall erschöpft Stölzl jeden Gesprächspartner

von RALPH BOLLMANN

Monatelang kannte das deutsche Feuilleton kein anderes Thema. Die FAZ setzte ganze Heerscharen von Redakteuren darauf an, der Spiegel widmete ihm seitenlange Storys, sogar die Tagesthemen sendeten Beiträge von fünf Minuten Länge. Plötzlich entdeckte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen seine kulturellen Leidenschaften, dann kamen sogar Gregor Gysi und Angela Merkel ins Spiel. Schließlich sorgte Gerhard Schröder mit einem Machtwort für ein Ende der Debatte, als stünden Rente oder Betriebsverfassung auf dem Spiel.

Dabei ging es doch bloß um drei mediokre Musiktheater in einer Stadt kurz vor der polnischen Grenze. Seit der Wiedervereinigung trällerten und fiedelten Sänger und Orchester in den Berliner Opernhäusern vor sich hin, als wäre nichts gewesen. An der Deutschen Oper (West) und der Komischen Oper (Ost) amtierte seit 1981 jeweils der gleiche künstlerische Chef, allein die repräsentative Staatsoper (neue Mitte) wurde unter dem Dirigenten Daniel Barenboim zumindest musikalisch aufgemotzt. Mit Opernmetropolen wie Stuttgart, München oder Hamburg konnte Berlin gleichwohl nicht mithalten.

Mit zehn Jahren Verspätung fiel Berlins Politikern dann plötzlich auf, dass es so nicht weitergehen konnte. Eine „Opernreform“ musste her, und als Reformator wurde Christoph Stölzl ausersehen. Erst wenige Monate zuvor hatte der CDU-Stratege Peter Radunski den Job geschmissen, seine Nachfolgerin Christa Thoben war nach nur hundert Tagen an Diepgen gescheitert. Niemand wollte den Job machen – außer Stölzl, dem Welt-Feuilletonisten und langjährigen Direktor des Deutschen Historischen Museums. Also wurde der Frewillige für die Opernschlacht dienstverpflichtet, am Freitag vor einem Jahr wurde er zum Senator gewählt.

Stölzl rechnete und rechnete, wie mit den vorhandenen 220 Millionen Mark die Zukunft der drei Opernhäuser zu sichern sei: Nur mit einer Fusion der beiden großen Bühnen, so schrieben es ihm seine Beamten auf. Doch der kühne Plan, die historische Staatsoper dem Koloss der Deutschen Oper in Charlottenburg anzugliedern, war politisch nicht abgestimmt. Stölzl erlitt Schiffbruch, eine Millionengabe des Bundes für die bedrohte Staatsoper machte seinen Plänen endgültig den Garaus. Als der Senat die Reform vor wenigen Wochen zu Grabe trug, hatte der Landowsky-Skandal die Opernaffäre längst aus den Schlagzeilen verdrängt.

Selten ist ein Landesminister mit einem solchen Getöse gestartet wie Stölzl, und selten ist einer so schnell und gründlich gescheitert. Seit dem Schiffbruch bei den Opern ist seine Autorität vollends ruiniert. Der Senator habe „seine Kräfte offensichtlich überschätzt“, höhnte der Berliner SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit – während die CDU nichts tat, um ihrem Ressortchef unter die Arme zu greifen. Bei seinem ungeschickt eingefädelten Versuch, das Berliner Hochschulgesetz zu reformieren, ließen die beiden Regierungsparteien den Senator für Kultur und Wissenschaft sogar ganz offen ins Messer laufen. Das Thema habe für sie keine Priorität, ließen die sonst so zerstrittenen Koalitonspartner den damals noch parteilosen Senator in ungewohnter Einigkeit wissen.

Das größte Problem des Kultursenators ist seine notorische Harmoniesucht

Aus dem fehlenden politischen Rückhalt zog der Senator die Konsequenz. Vor sechs Wochen, bereits mitten in der Landowsky-Affäre, beantragte er die CDU-Mitgliedschaft. An seinem größten Problem, seiner notorischen Harmoniesucht, wird das Parteibuch jedoch wenig ändern. Hinter jedem kritischen Zeitungsartikel wittert Stölzl gleich eine Kampagne, von den pflichtgemäßen Attacken der Oppositionsparteien fühlt er sich persönlich getroffen. Jeden Vorschlag, den er macht, zieht er im nächsten Atemzug schon wieder halb zurück – bevor ihn jemand anderes demontiert. Bewegen kann man auf diese Art nicht viel.

Aber der Stuhl des Senators wackelt deshalb noch lange nicht. Würde in Berlin neu gewählt, verlöre er zwar seinen Posten – wohl auch bei einem Sieg der CDU. Solange aber die große Koalition amtiert, ist Stölzl der ideale Senator. Nach dem Scheitern seiner Reformversuche verkörpert er geradezu den Stillstand, für den das Bündnis steht. Gerade wegen seiner offenkundigen Schwäche können ihn die beiden Regierungsparteien nach Belieben herumschubsen.

Um die renitente Kulturszene zu befrieden, ist der frühere Museumsmann allemal nützlich. Immerhin wird von den Kulturschaffenden als einer der Ihren akzeptiert, und mit seinem nie versiegenden Redeschwall vermag er jeden Gesprächspartner zu erschöpfen. Zwar wich die anfängliche Begeisterung für den gebildeten Plauderer alsbald entnervten Fluchtgelüsten, doch das Ergebnis bleibt das gleiche: Hat Stölzl erst einmal zu reden begonnen, erstirbt jeder Widerstand. Einwände sind zwecklos, weil der Senator ohnehin nie auf den Punkt kommt. Die Frage nach seiner Rolle in der künftigen Opernstruktur beantwortet er mit einem Verweis auf den Philosophen Martin Heidegger: Es gehe ihm um das „Sein bei den Dingen“. Auch in den Senatssitzungen beschwerten sich die Teilnehmer anfangs über die allzu wolkigen Referate des Neulings. Das hat sich mittlerweile gelegt: Im Senat hat Stölzl nicht mehr viel zu sagen.