: Nettes Desinteresse
Aversion war früher. Heute wird freundlich ignoriert: Anmerkungen zum deutsch-niederländischen Verhältnis anlässlich der Bonner Ausstellung
von UTE SCHÜRINGS
Holland hat es besser. Neidisch blickt der schwerfällige Dampfer Deutschland auf den wendigen Segler, der links an ihm vorbeigleitet und dabei noch eine lange Nase dreht. In dem kleinen Land am Meer haben alle Arbeit, man ist liberal, die Menschen sind nett zueinander. Niederländer sind sprachbegabt und aufgeschlossen und sie haben auch noch einen guten Geschmack. Man wohnt in stilvollen Häusern, und damit jeder sehen kann, wie harmonisch sich hier antike Möbel und modernes Design verbinden, verzichtet man auf Gardinen. Neidisch schaut der deutsche Besucher in die Wohnungen, wo ihm sonst die kalte Schulter gezeigt wird. Denn sie mögen uns ja auch nicht, die Holländer, und Recht haben sie – wir haben unsere Strafe verdient.
Rund um die deutsch-niederländischen Beziehungen gibt es unzählige Klischees. Auch die Ausstellung „Deutschland – Niederlande. Heiter bis wolkig“, zur Zeit noch im Bonner Haus der Geschichte zu sehen, gerät bisweilen in die Klischeefalle. Viele Exponate vermitteln vor allem deshalb ein schiefes Bild, weil sie nur unzureichend erläutert werden. Etwa die Postkarte mit der Aufschrift: „Ik ben woedend“ – Ich bin wütend. Diese vorgefertigte Karte schickten 1993 über eine Million Niederländer als Reaktion auf die Brandanschläge in Solingen an den deutschen Bundeskanzler.
Ahnungslose Aversionen
Ins gleiche Jahr wie die Postkartenaktion fiel die Veröffentlichung der so genannten Clingendael-Studie, die im ausgezeichneten Ausstellungskatalog erwähnt wird. Dieser Studie zufolge haben mehr als 50 Prozent der niederländischen Schüler ein ausgesprochen negatives Deutschlandbild, wobei die Faktenkenntnisse über das Nachbarland sich als mangelhaft erwiesen. Der Tenor der Untersuchung lautete entsprechend: Je geringer die Kenntnisse, desto ausgeprägter die Vorurteile. Zwar wies die Clingendael-Untersuchung einige methodologische Mängel auf, und ihre Ergebnisse sind in Fachkreisen durchaus umstritten, urteilt der Niederlandist Bernd Müller. „Trotzdem wurde die Studie in der Bundesrepublik zum Symbol einer niederländischen Aversion gegen Deutschland und die Deutschen. Ein Bild, das inzwischen selbst schon wieder zum Klischee geworden ist.“
Ein Klischee, dem auch die Ausstellung in Bonn letztlich keine feineren Nuancen hinzuzufügen weiß. So wird in Bonn nicht vermeldet, dass die Postkartenaktion im Land selbst Unmut hervorrief. Viele Niederländer nahmen durchaus zur Kenntnis, dass der Anschlag auch in Deutschland Empörung hervorrief, und fanden die Aktion ihrer Landsleute unpassend.
In mehrfacher Hinsicht war 1993 deswegen ein folgenreiches Jahr für die deutsch-niederländischen Beziehungen. Das negative Bild Deutschlands löste in den Niederlanden eine rege Debatte aus – allzu augenfällig war die Kluft zwischen politischer Ebene und öffentlicher Meinung. Die diplomatischen Beziehungen waren ausgezeichnet, ebenso die wirtschaftlichen Kontakte. Es bestand daher die Sorge, dass sich die antideutsche Haltung negativ auf die Handelsbeziehungen auswirken könnte.
Nachdem 1993 so viel Unmut über diese antideutsche Haltung laut geworden war, beschloss die Regierung, zusätzlich zu den bereits bestehenden Austauschprogrammen eine Reihe von neuen Initiativen ins Leben zu rufen, um das deutsch-niederländische Verhältnis zu verbessern. Es wurden gleich mehrere Institutionen gegründet, die sich mit Deutschland beschäftigen. Seit 1996 tagt auf Regierungsebene alljährlich eine deutsch-niederländische Konferenz, und das Deutschlandinstitut in Amsterdam wurde eröffnet. Hier werden regelmäßig Veranstaltungen organisiert, und es gibt ein gut ausgestattetes Dokumentationszentrum.
Das Deutschlandinstitut fördert die wissenschaftliche Beschäftigung mit Deutschland und hat neue Lehrmaterialien für den Schulunterricht entwickelt. „Deutschland nach 1945“ avancierte im vergangenen Jahr sogar zum Abiturthema im Geschichtsunterricht. Vorher beschränkte sich der Stoff über Deutschland vor allem auf den Zeitabschnitt 1933 bis 1945 – kein Wunder, dass viele Schüler nur wenig ausgeprägte Vorstellungen über den Stand der Demokratie im Nachbarland hatten.
Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich diese Anstrengungen gelohnt haben. Einer kürzlich erschienenen Studie des Groninger Soziologen Jan Pieter van Oudenhoven zufolge rangieren die Deutschen auf der Beliebtheitsskala der Holländer inzwischen vor den Franzosen und Italienern. Für diese Entwicklung lassen sich – außer den staatlich angekurbelten Initiativen – auch noch andere Gründe anführen.
Ein wichtiger Aspekt dürfte die lang ersehnte Anerkennung sein, die von deutscher Seite dem niederländischen „Wirtschaftswunder“ gilt. Gemeint ist das Poldermodell, das eigentlich gar kein Modell ist, sondern ein Name für die Art und Weise, wie in den Niederlanden schon seit Jahrhunderten politisch verhandelt wird: Die verschiedenen Parteien suchen gemeinsam nach einer Lösung und einigen sich auf einen Kompromiss – so auch 1982 in Wassernaar, als Arbeitgeber und Gewerkschaften sich auf niedrigere Löhne und mehr Teilzeitarbeit einigten. Konsens lautete hier das Zauberwort, eine Arbeitslosenquote von unter drei Prozent war das Ergebnis.
Vorbild Poldermodell
Die Nachrichtenmagazine Spiegel und Focus widmeten dem Poldermodell 1998 Titelstorys, und deutsche Ökonomen verbrachten ihren Bildungsurlaub in Holland. Das deutsche Interesse schmeichelte den Niederländern. Dabei spielte es kaum eine Rolle, dass rund eine Million älterer Arbeitssuchender aus den Statistiken weggeschummelt wurden.
Ein positiveres Deutschlandbild ist aber auch der Berichterstattung in der niederländischen Presse zu verdanken, die seit dem Umzug der Regierung nach Berlin ausführlich aus der neuen Hauptstadt berichtet. In den Wochenendbeilagen der Zeitungen finden sich oft große Artikel zur Kultur in Berlin, über glamouröse Hauptstadtevents oder umstrittene Architekturprojekte. Und auch die politische Berichterstattung ist ausgesprochen differenziert.
Der niederländische Stimmungswandel wird begleitet von einem offeneren Umgang mit der eigenen Geschichte. Der Blick auf die anderen hängt schließlich eng mit dem Selbstbild zusammen, und das hat in Holland stets weit mehr mit Deutschland zu tun gehabt als umgekehrt. Zum großen Nachbarn hat das Land traditionell ein ambivalentes Verhältnis.
Neues Selbstbild
Die besagte Clingendael-Studie wurde nicht nur wegen der feindseligen Haltung gegenüber den Deutschen als alarmierend empfunden, sondern auch wegen des ungebrochen positiven Selbstbildes, das viele junge Niederländer offenbarten. Auch hier hat sich der Wind gedreht. Das positive Selbstbild bröckelt, bedingt durch einen differenzierteren Blick auf die eigene Geschichte. Als Seefahrer- und Handelsnation ist das Land reich geworden durch Kolonien und Sklavenhandel. Doch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit fand in den Niederlanden bis vor einigen Jahren kaum statt, die Entkolonialisierung etwa war ein gemiedenes Thema. Schon der Sprachgebrauch ist hier aufschlussreich: Noch bis vor etwa zehn Jahren wurde der niederländische Krieg gegen die indonesische Unabhängigkeit 1949 selbst in führenden Zeitungen noch euphemistisch „Polizeiaktion“ genannt – die Bezeichnung geht auf die Vorstellung zurück, in den Kolonien hätte damals für Ordnung gesorgt werden müssen.
Auch die eigene Rolle während der deutschen Besatzungszeit steht vermehrt zur Debatte. Seit einigen Jahren schon gibt es anlässlich des Gedenktages der Befreiung Diskussionen über den Zweiten Weltkrieg, in denen auch die eigene Rolle kritisch beurteilt wird. Und die Postkartenaktion von 1993 gilt im Land selbst inzwischen als Negativbeispiel für ein in den Niederlanden verbreitetes Überlegenheitsgefühl – das, wie der Historiker Hermann von der Dunk es ausdrückt, die Kehrseite des Bewusstseins der eigenen geringen Größe ist. Denn der latente Inferioritätskomplex beruht auf einem realen Rangverlust: Im 17. Jahrhundert zählte die Republik zu den einflussreichsten Ländern Europas. Umso ärger, wenn manche deutsche Touristen heute zuweilen so tun, als sei Holland das 17. Bundesland.
Sein Negativimage hat Deutschland inzwischen also weitgehend verloren. Doch das Interesse niederländische Jugendlicher an Deutschland hält sich noch immer sehr in Grenzen, zumindest was Sprache oder Literatur angeht. Nur 50 Erstsemester haben sich landesweit für ein Germanistikstudium entschieden, und schon jetzt übersteigt die Anzahl der Deutschen, die Niederländisch studieren, die Anzahl der niederländischen Germanisten um ein Vielfaches. Die gepflegte Aversion scheint einem freundlichen Desinteresse gewichen zu sein.
„Heiter bis wolkig. Deutschland und die Niederlande“, noch bis zum 16. 4. im Haus der Geschichte, Bonn. Ab 26. Mai im Rijsksmuseum Amsterdam.
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