Straffreie Sterbehilfe

Als weltweit erstes Land will Holland die „im Prinzip“ verbotene, aber straffreie „Euthanasie“ einführen. Deutschland reagiert mit Unverständnis

BERLIN taz ■ Seit sieben Jahren wird in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe geduldet. Ab heute ist sie per Gesetz erlaubt, sollte gestern Abend, wie erwartet, die Erste Kammer des Parlaments dem entsprechenden Gesetzentwurf zugestimmt haben. Bereits im November hatte die Zweite Kammer die Vorlage verabschiedet. Im Falle der Zustimmung des Oberhauses wäre Holland weltweit das erste Land, in dem „Euthanasie“ legal ist.

Die Befürworter einer gesetzlichen Regelung, in den Niederlanden die deutliche Mehrheit, argumentieren, dass das Gesetz lediglich fixiere, was bewährte Praxis ist. Dennoch versammelten sich gestern Demonstranten in Den Haag. Die Senatoren der Ersten Kammer erhielten mehr als 60.000 Briefe, in denen sie zumeist zur Ablehnung aufgefordert wurden.

Bereits zu Beginn der Beratungen am Montagabend prallten im Oberhaus die Meinungen hart aufeinander. Vertreter christlicher Parteien warnten dabei vor Praktiken, die aus der Nazi-Zeit in Deutschland bekannt seien, sprachen von „Lizenz zum Töten“. Das wurde von Mitgliedern der linksliberalen D66 als „Vergewaltigung der Geschichte“ zurückgewiesen.

Aktive Sterbehilfe ist in Holland „im Prinzip“ auch weiterhin verboten. Ärzte haben genau festgelegte Sorgfaltspflichten. Die Kriterien zur Überprüfung des ärztlichen Anspruchs auf Strafausschließung lauten: Der Patient muss den Arzt „freiwillig, nach reiflicher Überlegung und wiederholt“ um Sterbehilfe gebeten haben. Sein Zustand muss „aussichtslos, sein Leiden unerträglich“, eine Schmerztherapie „aussichtslos“ gewesen sein. Der Arzt muss einen unabhängigen Kollegen hinzugezogen und die lebensbeendende Maßnahme „mit größter medizinischer Sorgfalt“ durchgeführt haben. Jeder Fall muss gemeldet werden. Regionale Kommissionen aus Ethikern, Juristen und Medizinern entscheiden dann, ob sorgfältig gehandelt wurde.

Auch wenn gestern der FDP-Politiker Detlef Parr eine ähnlich offene Debatte auch in der Bundesrepublik empfahl – in Deutschland ist aktive Sterbehilfe nach wie vor undenkbar. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sagte gestern, sie halte ein Ausdehnen der Schmerztherapie für sinnvoller. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, erklärte, Hollands Regierung rühre „an den Grundfesten einer humanen Gesellschaft“. Berlins Ärztekammerpräsident Günter Jonitz sprach von einem „moralischen Dammbruch“. HENK RAIJER

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