zoologie der sportlerarten
: Prof. H. HIRSCH-WURZ über die Springreiter

Unter Ärschen und Amazonen

Als der Mensch einstens das moderne Sporteln begann, dachte er sich immer neue Disziplinen aus. Zum Beispiel Hindernisrennen. Allerdings war der Mensch evolutionsbiologisch sehr erschöpft: Unzählige Generationen hatte er seine Art zu erhalten gehabt durch Jagd und ähnlich anstrengendes Tagwerk, tagein, tagaus. Dann auch noch die Fron der Fabrikarbeit. Jetzt suchte er Hilfe. Motorgefährte, Trampoline und Düsenantriebe waren technisch noch nicht so weit. Da gedachte man der Cowboys und Indianersleut’ drüben in Amerika, von deren Reiterskünsten man sich große Dinge erzählte. So kam das Pferd auch unter den Leibesübenden, und die einzige wichtige Sportdisziplin mit einem Geschöpfemix war erfunden. Hindernisse fanden alle klasse, je mächtiger, wie das heißt, desto besser.

Seitdem feiert die Sportwelt den Homo equensis hopp. Ein grundsätzliches Problem blieb bis heute. Pferde wollen gar nicht hüpfen, sondern Hindernisse lieber umgehen. Bislang konnte dieses natürliche Verhalten weder ausgebimst noch weggezüchtet werden. Als Gegenmittel gelten das Kitzeln mit Sporen, bis das Pferd wiehert oder lieber gleich springt. Oder man versohlt ihm den breiten Po mit einem schmerzenden Stäbchen. Ist der Arsch abgestumpft, wird gebarrt. Das ist zwar als schmerzhaftes Psychodoping verpönt, aber im Blut mit keinem Test nachzuweisen.

Manche setzen auf das richtige Pferd, sich drauf und erwischen eine Wunderstute. Die macht dann Instinkte ignoriend alles von selbst und trägt einen schwer verletzten Aufsatz zum Olympiasieg – wie Halla ihren Hans Günter Winkler in Stockholm 1956. Winkler hatte einen Sehnenriss, seine Schmerzensschreie bei jedem Sprung waren parcoursweit zu hören, aber Halla (HGW: „Sie war eine Mischung aus Genie und irrer Zicke“) schaffte den einzigen Nullfehlerritt.

Zwingen darf man das Wunder nicht. Denn dann beruft sich das Ross trotzig auf Art. 4 Abs. 3 Grundgesetz, verweigert den Dienst vor Mauer oder Oxer, und der Homo equensis hopp fliegt manchmal allein über die Stangen. Wird er abgeworfen, zieht er aufgebend seine Kappe und bekommt dafür viel Beifall. Tierschützer applaudieren dann dem Pferd.

Der Pferdesport gilt als sehr edel. Das liegt am Fehlen eines Balles, denn sonst wären wir beim Polo, und das gilt als snobistisch. Einmal im Jahr, sagen hauptamtliche Pferdemenschen wie Hans-Heinrich Isenbart oder Armin Basche, „blickt die Reiterwelt nach Aachen“, einer sportlich sonst völlig unbedeutenden Randgemeinde Deutschlands. Da treffen sich alle beim CHIO, um eine Woche lang zu hüpfen, bis die Hufeisen Funken schlagen. Dieses Jahr droht die Absage wegen MKS.

Man erkennt routinierte Reiter leicht an den beliebten roten Jacken und den oft beachtlich gekrümmten Beinen, wie sie sonst nur Fußballer, Schweinezähler und Schafscherer vorweisen. Über die nähere Gefühlsstruktur des Homo equensis hopp ist wenig bekannt. Das liegt daran, dass sich in Deutschland mehrheitlich verschlossene Westfalen, Schockemöhlen oder dröge Holsteiner (Fritz Thiedemann) satteln. Wichtig ist, wie Popometer-Studien an unserem Institut belegen, das „Gefühl im Hintern“. Oft gewinnen arschsensible Deutsche oder ein Brasilianer, der immer Pessoa heißt, früher Nelson, heute Rodrigo.

Das Treiben des Homo equensis hopp ist ausgeprägt emanzipativ: Stets wetteifern Männlein und Weiblein gemeinsam, was für Reitersleut’ und Pferde gilt. Reitersfrauen heißen überall Amazonen. Wenn diese besthüpfen, wie etwa Helena Weinberg, nimmt der Reitersmann ihr das nicht mal übel. Bei Olympia in Sydney gewann Prinzessin Hoya von Jordanien Sympathien statt Medaillen, als sie in der Hindernisdekoration landete. Was ihr die geknickten Blumenrabatten allerdings übel nahmen. Sehr übel nahm im Mai 1979 ganz Deutschland – nämlich der Darmstädter Tierkörperverwertungsanstalt Fischer und Söhne ihre grausige Tat, im Geschäftsbuch kalt unter „Nr. 491, 7 Uhr 30, Pferd“ vermerkt. Bild meldete balkenholdick über die Bestattungsdetails des verstorbenen Winkler’schen Wunderpferdes: „Gemein: Halla zu Seife verarbeitet.“ Eigentlich eine saubere Sache: So konnte das treue Pferd posthum noch etwas für die deutsche Volkshygiene tun. Wissenschaftliche Mitarbeit: BERND MÜLLENDER

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 80, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.