Zinsen bleiben oben

Entgegen aller Erwartungen senkte die Europäische Zentralbank die Zinsen gestern nicht. Börsen reagierten kaum, Euro sank auf ein Wochentief

FRANKFURT/BERLIN dpa/taz/afp ■ Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Mittwoch entgegen den Erwartungen der Analysten die Leitzinsen in der Eurozone unverändert gelassen. Der für die Kreditaufnahme der Geschäftsbanken maßgebliche Leitzins betrage weiterhin 4,75 Prozent, teilte die EZB nach ihrer turnusmäßigen Ratssitzung in Frankfurt mit.

Analysten hatten wegen schlechterer Wachstumsaussichten und nachlassender Inflationsgefahren in der Eurozone fast einhellig eine Senkung um 25 Basispunkte prognostiziert. Während die Notenbanken in den USA und Japan wegen des Wirtschaftsabschwungs ihre Geldpolitik in diesem Jahr bereits gelockert haben, sind die Zinsen in der Eurozone schon seit Oktober 2000 unverändert.

EZB-Präsident Wim Duisenberg sagte zur Begründung, es gebe trotz abnehmender Konjunkturdynamik keinen Anlass zu übertriebenem Pessimismus. Auch weltweit werde es nach einer kurzen Schwächeperiode schon bald wieder aufwärts gehen. Weiter begründete Duisenberg den EZB-Beschluss mit der nach wie vor herrschenden Inflationsgefahr: Der Druck auf die Verbraucherpreise nehme langfristig zwar ab. In den kommenden Monaten werde die Teuerung in Europa aber noch oberhalb der EZB-Warnschwelle von 2,0 Prozent liegen.

Die meisten Finanzexperten reagierten nach der anfänglichen Überraschung gelassen. Tatsächlich sei ein Wachstum von etwa 2,7 Prozent in der Eurozone noch kein Grund, die Zinsen zu senken, sagte Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor an der Uni Würzburg, der taz. Schließlich trage die Zentralbank die Verantwortung für alle Euroländer und dürfe sich nicht nur nach Deutschland richten, wo gestern nun auch die Regierung ihre Wachstumsprognose von 2,7 Prozent „nach unten“ korrigiert hat. Einen neuen Wert nannte Finanzminister Hans Eichel freilich nicht.

Michael Schubert von der Commerzbank meinte: „Die Geldpolitik ist überfordert, wenn sie die Welt retten soll.“ Ein halbes Prozentpunkt Zinssenkung bringe in der Regel mit einer zeitlichen Verzögerung nur 0,2 Prozentpunkte an Wachstum. Auch sehe es an der Inflationsfront nach wie vor nicht so gut aus.

Der Euro fiel nach der Zinsentscheidung gegen Dollar und Yen auf den niedrigsten Stand seit einer Woche. Der Deutsche Aktienindex rutschte unmittelbar nach der Zinsentscheidung leicht ins Minus, zog später aber wieder auf das zuvor erreichte Niveau auf 5.970 Punkte an. KK