EU gar nicht freizügig

EU-Kommissar Verheugen leitet heiße Phase der Beitrittsverhandlungen ein. Osteuropäer sollen bis zu sieben Jahre auf Arbeitsplatz im Westen warten. Grundfreiheit damit außer Kraft gesetzt

BERLIN taz ■ Arbeitnehmer aus Ostmitteleuropa sollen spätestens sieben Jahre nach der EU-Erweiterung freien Zugang zu den Arbeitsmärkten der Union haben. Dafür hat sich gestern die EU-Kommission in Brüssel ausgesprochen. Wie Erweiterungskommissar Günter Verheugen erläuterte, soll zunächst eine allgemeine Frist von fünf Jahren gelten. Anschließend können diejenigen EU-Staaten, die für ihren Arbeitsmarkt weiterhin „schwere Störungen“ durch Migranten und Pendler aus den Beitrittsstaaten erwarten, sich für eine weitere Frist von zwei Jahren entscheiden. Die Kommission erwarte jedoch nicht, dass dies nötig sei.

Mit ihrer Empfehlung, die von den EU-Mitgliedstaaten einstimmig verabschiedet werden muss, folgt die Kommission weitgehend den Vorstellungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dieser hatte sich bereits im Dezember für eine Übergangsfrist von sieben Jahren ausgesprochen. Allerdings betonten sowohl Schröder wie nun auch die Kommission, sie strebten eine „flexible“ Regelung an. Daher sieht der gestern veröffentlichte Vorschlag vor, dass Mitgliedsstaaten bei Bedarf individuelle Regelungen zur Öffnung ihres Arbeitsmarktes treffen können. Und: Bereits nach zwei Jahren will Brüssel überprüfen, ob die Übergangsphase verkürzt oder sogar beendet werden kann. Einer solchen Empfehlung müssten jedoch alle EU-Staaten zustimmen. Für die Beitrittskandidaten Zypern und Malta soll die Übergangsfrist nicht gelten. Mit der Aufnahme neuer Mitglieder wird 2004 gerechnet.

In den ostmitteleuropäischen Staaten ist die Forderung nach Übergangsfristen stets auf scharfe Kritik gestoßen. So hatte erst letzte Woche der tschechische Parlamentspräsident Václav Klaus nach Gesprächen mit Kommissionspräsident Romano Prodi festgestellt, dass man bei der Freizügigkeit „vollständig anderer Meinung sei“. In Ostmitteleuropa wird immer wieder darauf hingewiesen, dass durch die Begrenzung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer immerhin eine der vier Grundfreiheiten der EU außer Kraft gesetzt werde.

Auch in der EU-Kommission selbst sind nicht alle von dem jetzigen Vorschlag überzeugt. So bezeichnete Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou die Frist als zu lang. Ihrer Ansicht nach werde es auf den Arbeitsmärkten Deutschlands und Österreichs zu keinen erheblichen Belastungen kommen. Der Berliner Senat hält die Siebenjahresfrist dagegen für zu kurz. Ein Sprecher sagte gestern: „Ideal wären etwa sieben bis zehn Jahre.“

In einem Interview mit der taz sprach sich Regionalkommissar Michel Barnier dafür aus, die Beitrittsstaaten schon jetzt großzügiger zu unterstützen: „Je mehr wir den Kandidaten jetzt beistehen, umso reibungsloser wird die Erweiterung über die Bühne gehen.“ Unterstützt werden müssten aber auch die ostdeutschen Grenzregionen, da sie von der Erweiterung besonders betroffen seien.

Über die Lage in diesen Regionen berichtet die taz von nun an jeden Dienstag in einer zehnteiligen Reportagenserie.

SABINE HERRE

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