Grün & schön

Am Freitag wird der Kanzler mit blumigen Worten die Bundesgartenschau in Potsdam eröffnen. Und tatsächlich, das halbjährige Spektakel könnte fast einige städtebauliche Sündenfälle der jüngsten Vergangenheit vergessen machen

von MICHAEL KASISKE

Ein warmer Sonntag im Jahr 1969. Die ganze Familie packt sich ins Auto und fährt in die nächste Großstadt. Papa umfasst stoisch das Lenkrad, Mama sitzt ebenso daneben, während hinten zum x-tenmal „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ erschallt. Auf der Bundesgartenschau in Dortmund angekommen, flaniert die kleine Schar durch den Park, verfolgt praktische Gartenhilfen oder erobert den Robinsonspielplatz – die Veranstaltung erfüllt zeitgemäß das Bedürfnis von Großeltern, Eltern und Kindern nach Information und Anregung für das eigene Tun.

Die Bundesgartenschauen richteten sich seit je an ein breites Publikum. Folgten die ersten Ausstellungen nach 1951 primär dem Wunsch, nach Beseitigung der Kriegsschäden die alten Grünräume wieder für die Öffentlichkeit attraktiv zu machen, oder besannen sie sich Ende der Siebzigerjahre in der Folge der Modernismuskritik auf die klassische Gartenkunst, reihen sich die heutigen Veranstaltungen in die Festivalisierung der städtischen Räume ein. Der Anlass könnte auch Expo, Europäische Kulturhauptstadt oder Olympiade heißen, oder er könnte ein Jubiläum sein – jedenfalls instrumentalisieren die Städte die Bundesgartenschau für ihre Stadtentwicklung. Nichts anderes tat Potsdam, um seine ehrgeizigen Projekte zu verwirklichen und in diesem Jahr die Ergebnisse der sechs Jahre währenden Planungs- und Bauzeit unter dem Motto „Gartenkunst zwischen gestern und morgen“ feierlich vorzustellen.

Wenn am 20. April Kanzler Gerhard Schröder mit blumigen Worten die Buga Potsdam 2001 eröffnet, startet auf dem 73 Hektar großen Hauptgelände „Park im Bornstedter Feld“ im Norden der Stadt ein fast halbjähriges Spektakel. Tags darauf folgt die Präsentation der komplementären Innenstadtprojekte mit der Einweihung des „Neuen Lustgartens“. Für einen Augenblick werden vielleicht die städtebaulichen Sündenfälle „Potsdam-Center“ oder die parallel zur Bahntrasse geplante Innerstädtische Entlastungsstraße vergessen, die dem Reisenden eben noch am Bahnhof trostlos ins Auge stachen.

Die vier Kulissen „Orte am Fluss“, „Historische Stadtlandschaft“, „Park im Bornstedter Feld“ und „Bornstedter Feldflur“ ließen die nicht unerheblichen Finanzmittel in vielgestaltige Kanäle fließen: in die Neuanlage der Havelufer und die Sanierung der Freundschaftsinsel, in den Lustgarten und den Platz der Einheit, in einen Volkspark auf ehemaligen Militärflächen und in die landwirtschaftlich genutzten Ausläufer der Kulturlandschaft im Norden der Stadt. Diese grüne Akupunktur hätte sicher auch dem großen Landschaftsgärtner Peter Joseph Lenné gefallen, dessen Geist und Werk ganz Potsdam seit dem 19. Jahrhundert durchdringt. Auch wenn die breite Streuung der Anlagen weniger auf Sichtbeziehungen aufbaut, mit denen Lenné einst die ganze Stadt verknüpfte. Ihr durchgehend öffentlicher Charakter steht vielmehr seinem liberalen Geist nahe, denn er war es schließlich, der die königlichen Parks mit der Vereinnahmung des angrenzenden Landschaftsraums nach außen öffnete. Und er war Lehrer und Förderer von Gustav Meyer, dem Schöpfer der Berliner Volksparks Humboldthain und Friedrichshain.

Im zukünftigen Volkspark im Bornstedter Feld werden während der Buga die unvermeidlichen Blumenschauen und Themengärten zu finden sein. Die Dramaturgie der Spannungsmomente wird aber auch jene Besucher fesseln, die sich nicht nur an Blütenmeeren ergötzen wollen. Eine Attraktion sind die ehemaligen Schießwälle, eine mit Lavendel und Rosenspiralen kultivierte Spur der militärischen Vergangenheit; eine weitere die so genannten „Spielterminals“, große und organisch geformte Betonskulpturen zum Rutschen und Besteigen.

Unübersehbar ist auch die „Biosphäre“ genannte Glashalle der Berliner Architekten Barkow Leibinger, in deren sich aus der Erde entwickelndem Innenraum die Hallenschauen präsentiert werden. „Zwischen Baumwipfeln gehen“ lautet die Ursprungsidee für das über zweihundert Meter lange Gebäude, das von Stegen und Wegen durchkreuzt wird. Der Bau war lange umstritten, weil sich keine Nachnutzung finden ließ. Nun will der Kinobetreiber Flebbe nach der Buga die „Biosphäre“ im Jahr 2002 ein zweites Mal eröffnen und die Naturerlebniswelt zu einer dauerhaften Attraktion etablieren.

Karl Zwermann, der Präsident des Zweckverbands Gartenbau, hebt immer den Mut Potsdams hervor, eine Bundesgartenschau zu schultern. Die Stadt, die vor Ehrfurcht vor der eigenen Geschichtsträchtigkeit zuweilen bewegungsunfähig zu werden drohte, trat damit aus dem Schatten der musealen Landschaften heraus und zeigte den Willen, auch in der Gegenwart die architektonische Szene mitzubestimmen. Die Landschaft und Architektur integrierende Kulturlandschaft, deretwegen Potsdam als Weltkulturerbe der Unesco benannt wurde, bleibt von der Bundesgartenschau unangetastet. Das war bei früheren Veranstaltungen nicht immer der Fall. Für die Bundesgartenschau 1955 in Kassel wurde nicht nur auf Trümmerschutt ein gigantisches Rosenfeld kultiviert, auch die Karlsaue verschwand unter amöbenförmigen Blumenbeeten; erst 1981, wieder anlässlich einer Buga, erhielt die große Fläche vor der Orangerie ihre Gestalt aus dem 18. Jahrhundert zurück. Und auch Stuttgart opferte 1961 die axialen Anlagen mit Alleen und ovalen Wasserbecken des Schlossgartens zugunsten einer in offenen Räumen angelegten Konzeption.

In der Gegenwart wären solche Eingriffe Blasphemie. Das weltberühmte Sanssouci mit seinen umfangreichen Ausläufern, die Ceciliengärten oder Schlosspark Babelsberg, in denen englische Landschaftsgärten, barocke Parterres, biedermeierliche Romantik miteinander harmonieren, stehen als historisches Erbe für sich. Als Freizeitraum können diese Grünflächen allerdings nur illegal wie im Sommer am Heiligen See genutzt werden; auch weil die bürgerlichen Herren der ehedem königlichen Schlösser und Parks entrückter als die letzten Herrscher selbst erscheinen. Ihnen sei die Forderung des Kunsthistorikers Alfred Lichtwark von 1900 ins Stammbuch geschrieben, dass ein Park nicht nur Anschauung, sondern auch einen „wohnlichen Aufenthalt für jedermann“ bieten müsse.

Das Bedürfnis der Bevölkerung, sich eigene vitale Orte anzueignen, soll in Potsdam im Volkspark im Bornstedter Feld und im Neuen Lustgarten befriedigt werden. In beiden Anlagen werden dauerhaft Spiel- und Sportflächen zur Verfügung stehen. Der Volkspark wird den zukünftig 17.500 Menschen, die im Bornstedter Feld wohnen und arbeiten sollen, ein wichtiger Naherholungsraum sein. Die Mehrzahl der Potsdamer freilich lebt in den Siedlungen südlich der Havel und profitiert wenig von den neuen Grünanlagen. Hier ist der Grund zu finden, warum die Akzeptanz der Buga in der breiten Bevölkerung erst schwer erkämpft werden musste.

Abseits der preußischen Vergangenheit widmet sich die Buga dem „Bornimer Kreis“. Der in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts gegründete Zirkel um den Staudenzüchter Karl Foerster steht für eine Auffassung historischer Kontinuität im Umgang mit Pflanzen. Der 1938 begonnene Schau- und Sichtungsgarten auf der Freundschaftsinsel, in dem laut Foerster „das ganze Blumenzwiebelstaudenreich mit seinen oft in die Tausende gehenden Sortenmengen in ein Dauerverhör genommen“ werden sollte, wurde von seinen Schülern stetig weitergeführt, so dass Beete unterschiedlichsten zeitlichen Ursprungs nebeneinander liegen. Zur Bundesgartenschau werden dort originale Foerster-Züchtungen gezeigt, die aus ganz Europa zusammengetragen wurden, sowie inzwischen selten gewordene Rosensorten, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in der ehemaligen DDR gezüchtet wurden. Aufgrund dieser intensiven Bepflanzung und ihrer geografischen Lage entwickelt sich die Insel vielleicht zu einem „Central Park“, der auch auf die südlichen Wohngebiete ausstrahlt.

Zwei Projekte werden lediglich als Bilder in Erscheinung treten. Bedauerlich, denn gerade die „Video-Kühe“, die der Zürcher Landschaftsarchitekt Florian Rotzler und der Berliner Künstler Otmar Sattel auf den Wiesen grasen lassen wollten, wären ein treffender Kommentar in Zeiten von BSE und MKS gewesen. Auf großen Screens sollten Bilder zu sehen sein, die eine an den Hörner einer Kuh befestigte Kamera eingefangen hätte. Unentschuldbar ist auch die Entscheidung, das an der Stelle des Stadtschlosses vorgesehene Holzgerüst nicht zu realisieren. Nicht mal für den blauen Teppich und vier Türme, die alternativ Ausmaße und Höhe des erst in den Sechzigerjahren gesprengten Kastens markiert hätten, reichte die Kraft. Ein paar Bäumchen und das im Aufbau befindliche Fortunaportal erscheinen an diesem Ort so verloren wie der Traum Potsdams, das Schloss zum Nulltarif wieder errichten zu können.

Die Frage bleibt offen, ob die gegenwärtige Aufmerksamkeit für die Landschaftsarchitektur ein kurzfristiger Trend ist oder ob die Gärten und Parks die notwendige Zeit zum Wachsen und Reifen erhalten. Schon seit längerem dämmert den Potsdamer Stadtvätern und -müttern, dass die neuen Anlagen für den ohnehin klammen Stadtsäckel mit jährlichen ein bis anderthalb Millionen Mark Unterhaltskosten langfristig eine große Bürde bedeuten. Die weitere Pflege ist an die Frage geknüpft, ob sie privatwirtschaftlich oder aus öffentlichen Kassen finanziert wird. Oberbürgermeister Platzeck schließt jeden Rückbau aus, auch wenn er noch keine Lösung präsentieren kann. Potsdam wird seine aktuelle Gartenkunst daran messen lassen müssen, wie es praktisch seine neu gewonnenen Grünräume bewahrt, auf dass diese auch für zukünftige Generationen als Erholungsräume nutzbar bleiben. Fällt dieses Engagement weg, wird die Bundesgartenschau in ihrer Eventfunktion hier in Frage gestellt.

MICHAEL KASISKE, 36, ist Architekt und Autor. Im Juni erscheint von ihm das mit Thies Schröder herausgegebene Buch „Gartenkunst 2001 – Potsdam Bundesgartenschau“, Birkhäuser Verlag, Basel, 144 Seiten, 76 Mark