Sprachübungen

Der VfB Stuttgart paukt die Vokabeln des Abstiegskampfes und besteht die Prüfung gegen Cottbus mit 1:0 knapp

STUTTGART taz ■ Krassimir Balakov kam einem irgendwie vor wie der Fünftklässler, der ganz aufgeregt die ersten Worte einer neuen Fremdsprache spricht. Da gibt es jede Menge neuer Vokabeln: grätschen oder rackern etwa, Engagement oder Einsatzwille. Und auch die Grammatik ist eine neue: „Laufen, kämpfen, laufen, kämpfen“, sprudelte es aus Balakov heraus.

Die Fremdsprache wird im Abstiegskampf gesprochen. Der Pennäler Balakov sagte eifrig und wissbegierig: „Wir müssen alle lernen, was es bedeutet, gegen den Abstieg zu spielen.“ Wenn man so will, hat der VfB Stuttgart eine wichtige Klassenarbeit gemeistert: Das 1:0 gegen die Schüler der konkurrierenden Parallelklasse aus Cottbus per Foulelfmeter durch Balakov brachte den VfB Stuttgart zumindest einen Schritt näher an die Versetzung in die nächste Bundesliga-Klasse.

Langsam hat sich der VfB Stuttgart herangetastet an die Erkenntnis, die zuletzt so beharrlich verdrängt wurde: Immer hieß es, der VfB gehöre nicht in die untere Tabellenregion. Stets sogen die Spieler dieses Urteil auf und verankerten im Bewusstsein, nie und nimmer absteigen zu können. Die Realität holte die Stuttgarter regelmäßig ein – und sie taten nach Misserfolgen so, als verstünden sie die Welt nicht mehr.

Balakov hat nun erkannt: „Ich sehe mit jedem Spiel mehr, dass spielerisch nichts geht.“ Früher hätte er vermutlich genörgelt, dass das Kampfspiel nicht seins ist, dass die Taktik auf ihn abgestimmt werden müsse, um seine Person besser in Szene setzen zu können. Jetzt sagt der Bulgare: „Taktik und vier und drei ist alles egal.“ Taktisches Vorgehen suchten die Zuschauer dann auch vergeblich. Der Zufall wurde zum Prinzip erhoben, meist mit dem Mittel des hohen Flugballs in Strafraumnähe. Und die Zuschauer mussten sich angesichts des katastrophalen Kicks schon beim DSF-Montagsspitzenspiel der Zweiten Liga wähnen. Felix Magath urteilte, das sei „das schlechteste Spiel“ gewesen, seit er Übungsleiter beim VfB ist.

Das lag auch an den Cottbusern. Sie igelten sich ein, auch als die ohnehin schon sichtbare Verunsicherung der Schwaben noch größer wurde. Abwehrchef Zvonimir Soldo musste früh mit Muskelfaserriss vom Platz. Folgerichtig sprach der Cottbuser Bruno Akrapovic von „Hosenscheißer-Fußball“ seines Teams. Und Eduard Geyer machte einen elementaren Mangel aus: „Rennen kann die Mannschaft.“ Kleine Pause. „Aber den Ball anhalten?“

VfB-Manager Rolf Rüssmann hatte Verständnis für die Verunsicherung des Vereins: „Du kriegst halt Nerven, wenn du ständig auf die Tabelle schauen musst.“ Und gesehen haben die VfB-Kicker zuletzt immer eine gefährliche 17. Umso notwendiger für das kaum vorhandene Selbstvertrauen sei es, so Magath, wenn man „aus dem Nichts heraus drei Punkte bekommt“. Der VfB-Trainer, mittlerweile ja diplomierter Abstiegskämpfer, erblickte Grundsätzliches im „Nichts“ – denn: „Wenn man das Glück hat, so eine schwache Partie zu gewinnen, dann ist das ein Fingerzeig, dass man die Klasse halten kann.“

Dass die Mittel egal sind, hat auch Krassimir Balakov erkannt: „Über die kämpferische Leistung musst du irgendwie einen Freistoß, einen Elfmeter oder ein Eigentor des Gegners erzwingen.“ Hat er ja auch: Erst den Foulelfmeter mit einem genialen Pass erzwungen, ihn anschließend selbst verwandelt. Und wie zum Beweis für die Verinnerlichung des Abstiegskampfs hat Balakov wirklich allen seinen rechten Schneidezahn gezeigt, der nach einem Zweikampf nur noch zur Hälfte existierte. „Das ist Abstiegskampf“, sagte Balakov. Der Fünftklässler hat die Lektion der neuen Fremdsprache gelernt.

THILO KNOTT

VfB Stuttgart: Ernst - Marques, Soldo (22. Hinkel), Wenzel - Lisztes, Thiam, Balakov, Todt, Seitz (46. Tiffert) - Dundee, Ganea (84. Carnell) FC Energie Cottbus: Piplica - Vata - Huldurovic, Matyus (77. Rödlund) - Reghecampf, Akrapovic, Latoundji, Scherbe (82. Ilie), Kobylanski (75. Wawryczek)- Helbig, Labak Zuschauer: 30.000; Tore: 1:0 Balakov (72./Foulelfmeter)