DIE AUSSAGEN DES KRONZEUGEN IM BERLINER RZ-PROZESS TAUGEN NICHTS
: Gerüchte, Fantasien, Interessen

Als im Dezember 1999 ein Großaufgebot von Sicherheitskräften den Berliner Mehringhof durchsuchte, glaubte man zunächst an einen schlechten Scherz. Tarek Mousli, einst Aktivist in der Kreuzberger Szene und nach eigenen Angaben Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ), hatte den Terrorismusfahndern erklärt, in dem Alternativzentrum befände sich ein Waffendepot der RZ. Seither wurden vier Personen verhaftet, gegen einen weiteren läuft bei den kanadischen Behörden ein Auslieferungsverfahren. Sie sollen sich an Berliner RZ-Aktionen gegen die deutsche Asylpolitik in den Achtzigerjahren beteiligt haben. Einzige Grundlage dieser Vorwürfe: die Aussagen von Mousli.

Über ein Jahr lang sprachen Beamte von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft (BAW) mit dem 41-Jährigen über das, was er über das Innenleben der RZ wissen will. Und Mousli plauderte, schließlich stand im Hintergrund permanent die Drohung, als Rädelsführer der RZ für lange Jahre hinter Gittern zu verschwinden. Widersprüche nahm die BAW gelassen hin. So etwa bezichtigte Mousli den Angeklagten Harald Glöde der Beteiligung an einer Aktion, während deren dieser gerade im Knast saß. Und nun also ein von der BAW in Auftrag gegebenes Gutachten im Fall Karry: Eine DNS-Analyse bestätigt, dass Rudolf Schindler nicht auf den hessischen Wirtschaftsminister im Jahr 1981 geschossen hat. Wieder war es die Aussage Mouslis, die den 58-Jährigen belastet hatte. Dabei hatte der Kronzeuge wie bei vielen seiner Angaben lediglich berichten können, was er vom Hörensagen mitbekommen haben will. Was wenig verwundert: Mousli war erst Jahre nach den Schüssen auf Karry zu den RZ gestoßen. Seine Aussagen im Opec-Prozess gegen Schindler ergaben keinen einzigen Beweis – ebensowenig wie die des Frankfurter Angeklagten Hans-Joachim Klein. Schindler wurde folgerichtig freigesprochen.

Nein, man muss nun nicht der Verwendung genetischer Analysen zur Verfolgung von Straftätern das Wort reden. Die Untersuchung bestätigt lediglich, was ein paar logische Gedankengänge auch hätten bestätigen können: Mousli musste Aussagen produzieren, um seinen eigenen Kopf zu retten. Wo er, wie im Fall Karry, nichts berichten kann, muss er eben etwas erfinden. Nicht viel anders verhält es sich im Berliner Verfahren. In der Grauzone zwischen irgendwie Wahrgenommenem, Gerüchten und Fantasien, vermengt mit dem Interesse seiner Vernehmer, produziert der Kronzeuge einen Mischmasch, der für keine Verurteilung taugen kann. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass im Berliner Mehringhof bis heute nichts gefunden wurde, was auf die Existenz eines Waffenlagers hinweist. WOLF-DIETER VOGEL