Eine Frage der Hautfarbe

Schwarze Bürgerrechtler fordern die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren und die Ausgangssperre zu befolgen: „Wir wollen aufbauen, nicht abbrennen“

aus Washington ELLY JUNGHANS

In der vierten Nacht senkte sich eine gespenstische Ruhe über Cincinnati. Ein Sicherheitsbeamter verglich die Straßen der Stadt in der Nacht zum Freitag mit einer Kegelbahn. „Es ist so ruhig, dass man eine Bowlingkugel hier durchrollen könnte“, sagte Gregory Baker dem Cincinnati Enquirer. Die meisten Leute hielten sich an die nächtliche Ausgangssperre, die der Bürgermeister nach tagelangen Unruhen verhängt hatte. Wer sich trotzdem ohne Genehmigung aus dem Haus wagte, wurde ohne Umschweife festgenommen. Zumindest noch über Ostern sollte in Cincinnati der Ausnahmezustand in Kraft sein.

Mit drastischen Maßnahmen eroberte die Polizei die Kontrolle über die Stadt im Mittleren Westen der USA zurück, die ihr in den vergangenen Tagen in großen Teilen entglitten war. Auf Proteste gegen die Todesschüsse eines Polizisten auf einen unbewaffneten Schwarzen waren Plünderungen und Brandschatzung gefolgt. Spätestens am Donnerstag verdiente die Gewalt die Bezeichnung „Rassenunruhen“. Läden asiatischer Besitzer wurden systematisch zerstört; eine weiße Autofahrerin wurde brutal geprügelt, bis Anwohner sie in Sicherheit brachten.

Wie aufgeladen die Stimmung in Cincinnati ist, zeigte sich in aller Schärfe am Mittwochabend. Bei einem Schlagabtausch zwischen Polizisten und Demonstranten fiel plötzlich ein Schuss, und diesmal war ein Beamter das Ziel. Die Kugel prallte an seiner Gürtelschnalle ab.

Ein in Verdacht geratener Zuschauer berichtete, Beamte hätten ihn gepackt und ihm eine Waffe an die Schläfe gehalten, bevor ihnen klar wurde, dass er mit dem Schusswechsel nichts zu tun hatte. „Ihr könntet umgebracht werden!“, brüllten Beamte in die Menge, um sie zurückzudrängen. Der Schütze war gestern noch nicht gefasst.

Der weiße Bürgermeister Charles Luken verglich die Straßenschlachten zwischen jungen Schwarzen und der Polizei mit Bürgerkriegsverhältnissen. In manchen Stadtvierteln seien Schüsse gefallen, „wie man sie in Beirut hören könnte“. Auf den Straßen der Stadt seien „kriminelle Elemente“ unterwegs, die vertrieben werden müssten. Rechtlosigkeit und Gewalt könnten nicht länger toleriert werden. Luken holte sich Verstärkung bei der Polizei des Bundesstaats Ohio. Er erwog überdies, die Nationalgarde zu Hilfe zu rufen.

Der Bürgermeister gab zu, dass die Rassenbeziehungen in seiner Stadt hinterfragt werden müssten. Die derzeitigen Unruhen hätten mit legitimen politischen Anliegen jedoch nichts mehr zu tun. In Wahrheit sind die Beziehungen zwischen den Schwarzen, die über 40 Prozent der Bevölkerung Cincinattis stellen, und der 1.030 Mann starken Polizeitruppe völlig zerrüttet. „Wenn wir diesen Terroristen nur einen Zentimeter nachgeben, indem wir mit ihnen verhandeln, dann können wir uns selbst die Schuld daran geben, dass wir uns in eine Stadt wie Detroit oder Washington verwandeln“, drohte der Chef der Polizeigewerkschaft, Keith Fangman.

Schwarze Bürgerrechtler riefen dennoch dazu auf, die Ausgangssperre zu befolgen. „Wir wollen nicht abbrennen, wir wollen aufbauen“, sagte Kweisi Mfume von der Nationalen Vereinigung zur Förderung von Farbigen (NAACP) vor 400 Zuhörern in einer Baptistenkirche. Mfume äußerte Verständnis für die Wut der Demonstranten. Seit 1995 wurden 15 Schwarze in Cincinnati von Polizisten getötet. Kein Weißer erlitt dasselbe Schicksal. „Wir sind alle wütend“, sagte der Bürgerrechtler. „Aber wenn wir keinen Plan haben, wird es auch keinen Fortschritt geben.“

Douglas Springs gehört zu den älteren Leuten, die 1968 nach der Ermordung des Schwarzenführers Martin Luther King junior in Cincinnati auf die Straße gingen. Damals wurde schon einmal eine nächtliche Ausgangssperre über die Stadt verhängt. Heute sieht er es als seine Aufgabe, zwischen den Jugendlichen und den Behörden zu vermitteln. „Diesmal können die Jungen auf den Straßen demonstrieren“, sagte Springs bei einer Nachbarschaftsveranstaltung. „Die Verhandlungen übernehmen wir Älteren.“

Tausende Menschen werden heute zur Trauerfeier für den 19-jährigen Timothy Thomas erwartet, dessen Tod die Unruhen ausgelöst hat. Er wurde vor einer Woche bei einer Verfolgungsjagd von einem Beamten erschossen, gegen den jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt. Thomas war unbewaffnet und wurde wegen kleinerer Verkehrsdelikte gesucht. Seine Mutter Angela Leisure rief im Rundfunk zur Beendigung der Gewalt auf. „Eine Menge unschuldiger Leute werden getroffen“, so ihr Appell. „Meinen Sohn bringt es mir nicht zurück.“