Unfreiwillige Selbstauskunft

■ Problematische Rezeption verschwiegen: Peter-Weiss-Feature im Deutschlandfunk

Als im Sommer 1965 der Frankfurter Auschwitz-Prozess nach 20 Monaten zu Ende ging, erinnerte Marcel Reich-Ranicki in der Zeit daran, dass im Winter 1964 zum gerichtlichen Ortstermin in Auschwitz nur ein Vertreter des etablierten Literaturbetriebs mitgereist war. Sein Name: Peter Weiss, 1916 bei Berlin als Nachfahr einer ungarisch-jüdischen Familie geboren und 1934 emigriert, übrigens ohne jemals die deutsche Staatsbürgerschaft besessen zu haben oder aus der Emigration zurückgekehrt zu sein. In der Tat schwieg die Mehrzahl der prominenten Vertreter des deutschen Kulturbetriebs zum Prozess. Weiss dagegen veröffentlichte kurz darauf seine Eindrücke der Reise in das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz, die später unter dem Titel „Meine Ortschaft“ publiziert wurden.

Doch nicht nur die Prozessbesuche, auch seine literarische Verarbeitung blieb das einsame Verdienst Peter Weiss'. In diesem Zusammenhang verdient ein Feature des Deutschlandfunks über Peter Weiss' Stück Die Ermittlung zum Frankfurter Auschwitz-Prozess Beachtung. Der Autor Heinz Ludwig Arnold unternimmt darin den Versuch einer kritischen Würdigung der Person Weiss und der Wirkung des Stücks. Von wenigen deutschen SchriftstellerkollegInnen abgesehen, bildete die im Oktober 1965 augeführte Ermittlung den einzigen öffentlich beachteten zeitgenössischen Versuch einer Auseinandersetzung mit den Taten und den Tätern von Auschwitz. Weiss collagiert darin Aussagen der Prozessbeteiligten zu einem dichten Text im Stil dokumentarischen Theaters. Nach der Premiere des Stücks in West- und Ostdeutschland setzte eine Kontroverse ein, die vor allem eine Auseinandersetzung mit dem politisch engagierten Schriftsteller und Sozialis-ten Weiss war.

Feature-Autor Arnold stutzt allerdings diese Debatte auf die gängigen Instrumentalisierungsstrategien des Kalten Krieges zurück: Im Westen wurde Weiss als kommunistischer Propagandist denunziert, die DDR vereinnahmte ihn als antifaschistischen Friedensfreund. Das diesen Strategien gemeinsame Motiv, der gesamtdeutsch gepflegte Verdrängungswunsch der Shoah, bleibt vage.

Lediglich einige wenige Andeutungen bietet das Feature über das problematische Verhältnis der Gruppe 47 zu Weiss, kein Wort hört man über die Ablehnung durch Autoren wie Günter Grass. Das Fea-ture wird damit zur unfreiwilligen Selbstauskunft einer Strömung der Literaturwissenschaft, die sich bruchlos mit dem Mythos einer kritischen deutschen Nachkriegsliteratur identifiziert. In solchem Selbstverständnis ist kein Platz für die Erkenntnis, dass das Problem nicht in Weiss' Art der Auseinandersetzung liegt, sondern darin, dass er es überhaupt getan hat. Weiss überliefert selbst in seinen Notizbüchern den an ihn gerichteten Vorwurf, er habe über deutsche Fragen schon zu viel gesagt.

So aggressiv-abwehrend Weiss durch Schriftstellerkollegen ausgegrenzt wurde, so lapidar kommentiert Arnold im Nachhinein Weiss' politische Interventionen: Gleich dreimal nennt das Feature dieses Engagement im Kontext mit der Ermittlung naiv. In diesem Sinne ist das Feature Anlass, die thematische Spur „Auschwitz“ bei Peter Weiss' Ermittlung selbst aufzunehmen, um dabei auf (Wieder-) Entdeckungen wie die Ästhetik des Widerstands zu stoßen, das letzte Werk des 1982 verstorbenen Autors. Andreas Blechschmidt

heute, 19.15, Deutschlandfunk