„Rot-Grün auf jeden Fall“

Der Vorwahlkampf für die Hamburger Bürgerschaft am 23. September kommt auf Touren. Die Parteien befinden in diesen Wochen über ihre Programme und SpitzenkandidatInnen oder haben dies bereits getan. Zeit für erste Interviews. Heute im taz-Gespräch: Die Zweite Bürgermeisterin und Spitzenkandidatin der GAL, Krista Sager.

Nächsten Montag: Ole von Beust, Möchtegern-Bürgermeister der CDU.

taz: Frau Sager, was machen Sie am 24. September?

Krista Sager: Ich vermute mal, dass ich dann zur Arbeit in die Behörde gehe wie sonst auch. Und dann werden wir sicher schnell in die Koalitionsverhandlungen mit der SPD eintreten.

Keinen Zweifel daran?

Nein. Es gibt doch wirklich keine ernsthafte Alternative. Das sehen auch die Konservativen inzwischen langsam ein. Die Vorstellung, dass Hamburg von dem Duo Schill/von Beust regiert wird, wäre ein politisches Horrorszenario.

Mit wieviel Prozent rechnen Sie?

Schwer zu sagen. Wir hatten 1997 mit 13,9 Prozent ein absolutes Spitzenergebnis. Bundesweit haben wir zurzeit einen schwierigen Trend. Ich würd mal sagen: Rot-Grün auf jeden Fall, und wir bewegen uns im zweistelligen Bereich.

Haben Sie eine Erklärung für die stabilen Umfragen, die ihnen 13 Prozent zubilligen? Klingt auch für viele GALlier kaum glaublich.

Erstmal ist es so, dass man Umfragewerte nicht unmittelbar in Wahlergebnisse umsetzen kann. Aber es zeigt, dass die grünen WählerInnen es gut finden, dass die Grünen hier in Hamburg mitgestalten, und dass sie auch sehen, dass wir durchaus Akzente setzen gegen die SPD. So etwas wie die Hamburger Ehe zum Beispiel hätten die Sozialdemokraten allein nicht gemacht.

Nehmen wir die Umfragewerte mal ernst: Wer wählt heute GAL, der sie vor vier Jahren nicht wählte? Viele haben sich schließlich von der GAL enttäuscht abgewendet, die ihr 1997 noch die Stimme gaben.

Das ist schwer einzuschätzen. Ich glaube, dass auch viele WählerInnen, die mit Einzelthemen wie dem Mühlenberger Loch nicht einverstanden sind, grundsätzlich sehen, dass die Grünen in diese Regierung ein Element einbringen, dass ganz wichtig ist für das, was sie wollen. Wir haben selbst in der Sparzeit Prioritäten durchgesetzt, die vorher keine waren, zum Beispiel im Wissenschaftsbereich. Unser Spektrum sind schon die Rot-Grün-WählerInnen, die auch beim letzten Mal unsere Ansprechpartner waren.

Aber es gibt doch zweifellos die Leute, die von der Sozialpolitik des Senates enttäuscht sind, es gibt die, die von der Atompolitik enttäuscht sind, und es gibt den Regenbogen. Das ist doch nicht mehr das gleiche Spektrum wie 1997.

Aber der Regenbogen spielt in Wirklichkeit keine Rolle. Er operiert am fundamentaloppositionellen Rand, und unter unserer Wählerschaft sind die, die Fundamentalopposition wollten, nie besonders relevant gewesen. Es war so, dass diese Strömung in der Partei immer stärker war als unter unseren WählerInnen. Die Wählerschaft ist immer viel pragmatischer gewesen, viel realistischer in ihren Erwartungen. Die sehen ja auch ein, dass wir angesichts der Haushaltssituation auch Grenzen haben. Und die sehen auch unsere Erfolge, zum Beispiel beim Bekämpfen der Arbeitslosigkeit gerade unter jungen Menschen und langzeitarbeitslosen SozialhilfeempfängerInnen.

Wie wirkt das auf jemanden, der vor vier Jahren noch selbst im Wendland gegen den Castor demonstrierte, und jetzt im Fernsehen sieht, wie andere das tun und sagen: Die Grünen haben uns verraten?

Das macht natürlich keinen Spaß, diese Auseinandersetzung zu führen. Aber es ist notwendig. Unsere Aufgabe in der Regierung war es, die Energiewende hinzukriegen, auch wenn die Richtungsänderung erst einmal eine kleine ist. Dass man die Atomwirtschaft unter Druck setzt, das ist eine Rolle, die nach wie vor wichtig ist. Das ist der Appellcharakter, den die Bewegung hat. Im Sinne einer Rollenverteilung zwischen Bewegung und Partei finde ich es in Ordnung, dass die Kraftwerksbetreiber merken, sie müssen sich etwas einfallen lassen.

Diese Rollenverteilung scheint der Bewegung nicht klar zu sein.

Das ist normal, dass in der Politik die jeweils handelnden Akteure sich derart 100prozentig mit ihrer Rolle identifizieren, dass sie dann sagen: Alle anderen, die nicht so handeln wie wir, sind irgendwie die Bösen. Das sind Prozesse, mit denen man umgehen muss, wenn man Regierungspartei wird.

Das betrifft ja vor allem die Bundespartei. Aber Sie hätten auch als Regierungspartner in Hamburg mehr für den Ausstieg tun können.

Eine Landesregierung kann den Ausstieg nicht durchziehen. Ich habe es immer für einen Fehler gehalten, dass ein Teil der Partei das nicht klar gesagt hat und Hoffnungen geweckt hat, die wir nicht erfüllen konnten.

Dieser Teil der Partei ist ja heute weitgehend nicht mehr bei den Grünen. Vermissen Sie in der GAL die Anregungen der Leute, die zum Regenbogen gegangen sind?

Ich habe den Eindruck, dass wir auf 90 Prozent dieser Truppe gut verzichten können. ich finde es auch richtig, dass die gegangen sind. Da sind auch einige dabei, die der PDS immer schon näher gestanden haben als uns. Ich finde es aber zum Beispiel schade, dass Heike Sudmann (Sprecherin der Bürgerschaftsgruppe Regenbogen, d. Red.) sich in diese Richtung entwickelt hat. Die hätte auch bei uns die Chance gehabt, gute Stadtentwicklungspolitik zu machen. Dass sie diese Rolle nicht angenommen hat, finde ich leider ein Zeichen von politischer Unreife.

Bei Ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin hat Ihr Gegenkandidat Jo Müller das fehlende Profil der GAL beklagt. Wo ist das grüne Profil?

Das Interessante ist doch, dass das Thema mit dem Profil von denen aufgegriffen wird, die lieber eine Große Koalition hätten.

Die taz hätte eine Große Koalition ungern, aber grünes Profil vermissen wir schon.

Nein, ihr macht ja lieber Regenbogen-Politik.

Wir verstehen uns als regierungskritisch.

Darüber können wir unterschiedlicher Meinung sein. Aber jedenfalls: Diese Parole wird von denen begierig aufgegriffen, die eine Koalition von SPD und CDU wollen und die von Anfang an eine Hoffnung hatten: Schnell sagen zu können, diese Regierung funktioniert nicht, sie ist zerstritten. In der Öffentlichkeit ist leider wenig Spielraum für Zwischentöne. Dieselben, die erst sagten, das Chaos droht, sind dieselben, die jetzt sagen, die Grünen sind die, die sich nicht genug profilieren. Es ist eben viel schwieriger, sich mit Sachthemen in der Öffentlichkeit zu positionieren als mit Skandalen oder Streit. Und wir Grüne haben weiß Gott keine Skandale produziert.

Wir haben auch von Sachkonflikten kaum etwas mitbekommen.

Die gab es. Wir haben in der Sache viele Konflikte gehabt. Aber wir tragen das nur ganz selten öffentlich aus, weil es nämlich der Sache eher schadet als nützt. In dem Moment, wo ein Konflikt mit der SPD öffentlich wird, wird er für den Koalitionspartner symbolisch so aufgeblasen, dass dieser sich überhaupt nicht mehr bewegt und wir in der Sache nichts mehr erreichen.

Die Grünen machen also ihre Arbeit, aber niemand bemerkt es?

Wir arbeiten nicht im Stillen. Es geht um die Frage: Was ist medienträchtig? Wenn ich ein 11,5 Millionen-Programm für Multimedia und Informatik durchsetze, dann ist das doch nur eine kleine Meldung. Wenn ich aber sage, der Tiefwasserhafen ist nicht im Hamburger Inte-resse, dann bekomme ich zwei Seiten. So ist das Geschäft.

Bei dem Thema Tiefwasserhafen und Elbvertiefung haben wir auch den Eindruck, dass Sie schon wieder zurückrudern.

Nein, es ist nur so, dass das Thema momentan nicht handlungsrelevant ist.

Ein Konflikt, der nur jetzt aufkommt, damit beide Seiten sich vor der Wahl positionieren und überhaupt ein kontroverses Thema für Koalitionsverhandlungen haben?

Ich bin mir gar nicht sicher, welche Rolle das in Koalitionsverhandlungen spielen wird, weil sich die SPD ja auch noch nicht festgelegt hat. Im übrigen nehmen wir hier in Hamburg den Koalitionsvertrag sehr ernst. Wir haben auch beim letzten Mal nur Dinge hineingeschrieben, die verbindlich sind. Denn diese Verbindlichkeit nutzt auch gerade dem kleinen Partner. Wenn ein solcher Vertrag nur als Denkanstoß formuliert wird, hat der größere Partner es viel leichter, den kleinen über den Tisch zu ziehen.

Gab es mal einen Moment, wo Sie daran gedacht haben, die Koalition zu verlassen?

Es gab immer wieder Punkte, wo ich mich wahnsinnig geärgert habe. Aber nach Oppositionszeiten habe ich mich nie gesehnt.

Der größte Erfolg, der größte Misserfolg in der Koalition?

Bei den Erfolgen würde ich gern einen Blumenstrauß aufmachen. Das Naturschutzgesetz, die soziale Bodenordnung, das Hochschulgesetz, das bevorstehende Planfeststellungsverfahren für die Straßenbahn, die Velorouten, das Gesundheitszentrum im Hafenkrankenhaus, das billige HVV-Ticket für SozialhilfeempfängerInnen, der grüne Ring als großes Zukunftsprojekt. Da gibt es schon einiges.

Und die Misserfolge?

Das ist schwierig, da Prioritäten zu setzen. Wir haben, das war schon im Koalitionsvertrag klar, keine Möglichkeit gesehen, die Hafenerweiterung Altenwerder zu verhindern. Das konnte man als Minderheit in einer großen Hafenstadt nicht durchsetzen. Und das galt auch für die Elbvertiefung. Ich bin auch sehr unzufrieden damit, dass es ungeheuer schwierig ist, sich mit der SPD auf Standards in der Flüchtlingspolitik zu verständigen. Das Mühlenberger Loch ist eine zweischneidige Sache. In Bezug auf den Naturraum sicher eine ganz schmerzhafte Geschichte. Andererseits ist es sehr fraglich, ob man ein industrielles Vorhaben von dieser Bedeutung wirklich verhindern sollte.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei Zukunftsthemen dieser Stadt, für die es eine GAL-Regierungsbeteiligung braucht?

Ganz zentral Bildung und Wissenschaft. Die Qualifizierung der Menschen entscheidet über ihre Zukunft, aber auch die der Stadt. Zweites Thema ist die weitere Verknüpfung von Lebensqualität in der Stadt mit Umwelt- und Gesundheitsthemen. Drittens die Verbindung von Sozialpolitik mit aktivierender Bürgerpolitik, nicht mehr diese Staatsbevormundung, sondern die Bürger in die Gestaltung ihres Viertels mit einzubeziehen.

Wir wetten mit Ihnen: Die GAL erreicht ein Ergebnis von 13 Prozent plus X. Wetten Sie dagegen?

Die Wette finde ich fies. Muss ich die jetzt annehmen? Ich will keine Wetten gewinnen, sondern WählerInnen. Interview:

Peter Ahrens / Sven-Michael Veit