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: HELMUT HÖGE über Ansprechpartner

Unterwegs im Spec-Gürtel

Die Berliner sagen „Speckgürtel“ und denken dabei an das Bauchfleisch aus dem Wirtschaftswunder, damals auch Ersatzreifen genannt. Diesen Fettringen rückt man jetzt in Fitnesscentern zu Leibe. Mit „Spec-Gürtel“ ist jedoch der für Immobilienhändler besonders lukrative Stadtrand gemeint, wo sie „on spec“ bauen, d. h. in froher Erwartung hoher Renditen.

Dort im Grünen wohnt auch ein junger Jurist der Bankgesellschaft mit seiner Künstlerfrau und zwei Kindern. Neulich war sein Mercedes in der Reparatur, und er musste mit der U- und S-Bahn nach Hause fahren. „Das war ja so spannend“, berichtete er anschließend, „besser als jeder Roman: Ich weiß gar nicht, was ihr immer habt mit den zu teuren Fahrpreisen der BVG, ich hätte auch 30 Mark für die Fahrt bezahlt.“ Da waren wir baff.

Dennoch gibt es nicht nur Gutes von dort – dem Spec-Gürtel – zu berichten. So haben sich zum Beispiel viele Betriebsräte, Ingenieure und überhaupt SPD-Genossen aus dem Osten seinerzeit mit ihrer Abfindung von der Treuhand noch zusätzlich verschuldet, um sich da draußen Wohneigentum zuzulegen. Nicht selten hingen dabei auch noch ihre in Rente geschickten Eltern mit Einlagen drin. Auch das geschah meistens „on spec“, denn die Wohnung oder das Reihenhaus sollte nicht selbst benutzt, sondern vermietet werden. Zuerst ging alles gut: Es meldeten sich interessierte junge Ehepaare im Dutzend für die Immobilie, und außerdem fanden die SPD-Spekulanten alle sofort neue Jobs. Aber diese waren plötzlich prekär. Und nicht nur das, auch die Jobs der ins Grüne drängenden jungen Leute waren es. Nach und nach versuchten sie sich alle abzuseilen: Die einen leisteten einen Offenbarungseid, um aus dem Mietvertrag rauszukommen, die anderen ließen sich scheiden und behaupteten Zahlungsunfähigkeit. Wie mit Engelszungen mussten ihre SPD-Vermieter in sie dringen. Um sie zum Bleiben zu veranlassen, gingen sie sogar mit der Miete runter – „bis an die Schmerzgrenze“. Denn, das hatte ihnen ihr Ansprechpartner bei der Bank gleich gesagt, „neue Mieter sind rar“.

Stattdessen entstehen überall weitere Wohnanlagen im „Spec-Belt“. Fast wöchentlich bekomme ich inzwischen einen Anruf von irgendeinem Ansprechpartner aus dem Call-Center einer Immobilienfirma – mit günstigen Angeboten rund um die Stadt. In Paris haben sich bereits ganze Ethnologen- und Soziologenschulen auf die Spur dieses Runs gesetzt – als selbst betroffene Eigenheimer. In Hamburg war lange Zeit die Zeitschrift Brigitte das Informationsblatt für Stadtrandflüchtlinge – alle ihre Redakteurinnen besaßen entweder kleine Reiterhöfe oder züchteten Schafe und hatten für nichts anderes mehr Interesse. Beim NDR kultivierten die leitenden Mitarbeiter dagegen vornehmlich Olivenbäume – in Italien. Die Ansprechpartner haben sich auch in der U-Bahn enorm vermehrt, um darauf noch einmal zurückzukommen: Früher konnte man seelenruhig vor sich hin dösen, heute geben sich Obdachlosenzeitungsverkäufer, Musiker, Betrunkene, Verrückte, Kontrolleure, Sicherheitskräfte mit Killerhunden und Sportfans gegenseitig – die Stichworte. Und an den U-Bahn-Ausgängen wird man von Umweltschützern, Handyverkäufern und Berliner-Zeitung-Werbern angesprochen. In anderen Worten: Es wird kommuniziert wie verrückt!

Aber komisch: In den Neubausiedlungen des Spec-Gürtels ist alles ruhig. Leise schnurren die Rolltreppen in den Einkaufscentern. Die Prospekteverteiler sagen kein Wort. Die Lautsprecherdurchsagen sind verhalten: „Bitte 15 auf 37.“ Wenn hier mal ein Handy piepst, dann höchstens verzweifelt – wo selbst die Sonderangebote nichts Schreiendes an sich haben. „Bademoden – jetzt zugreifen“. Eher vom Schweigen versucht ist auch die handgemalte Geschäftstafel mit dem Hinweis „Reisen ohne Reisebüro ist wie Träumen ohne Strand.“ Oder so ähnlich. Alles döst vor sich hin – wie die Taxifahrer. Die „randstad“ ist eine Schlafstadt. Tagsüber sind ihre Bewohner in der Stadt unterwegs – als Ansprechpartner.