herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über die Regel 55.2.irre

Beim Barte des Zähneputzers

Die Regel 53.1.ii Absatz 3 des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF besagt, dass ein Leichtathlet, der einen Wettkampf mit einem dopinggesperrten Kollegen bestreitet, seinerseits mit einer Sperre rechnen muss. Der Langstreckenläufer Dieter „Elmex“ Baumann hat dieser Regel zu allgemeiner Bekanntheit verholfen, als er neulich trotz seiner Sperre wegen unzulässigen Zahnpastagebrauchs (siehe Regel 52.2.ia Absatz 4) bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund im 3.000-m-Rennen antrat und so dafür sorgte, dass acht seiner Gegner kurzzeitig suspendiert wurden, Vizemeister Jan Fitschen bei den anschließenden Weltmeisterschaften in Lissabon nicht an den Start gehen durfte. Meister Baumann ja sowieso nicht.

Zwar heißt es inzwischen, dass so ein Startverbot auf Grund Regel 54 desselben Regelwerks (bzw. Regel 54.3.iq Absatz 5 o.s.ä.) gar nicht regelgerecht war. Außerdem wird geprüft, ob Regel 53.1.ii nicht insgesamt etwas zu i-tüpfelig daherkommt und längst hätte abgeschafft werden müssen (vgl. Regel 55.2.irre). Einstweilen aber gilt sie noch.

So herrscht derzeit eine bohrende Unsicherheit darüber, ob Dieter Baumann, wie er es angekündigt hat und gerichtlich durchsetzen will, beim Marathonlauf am kommenden Sonntag in Hamburg mitlaufen kann, ohne dass hinterher wieder etliche Mitläufer gesperrt werden müssen. Das Sicherste wäre natürlich, Dieter Baumann würde den Marathonlauf alleine absolvieren. Dass er von sich aus auf eine Teilnahme verzichtet, gilt als ausgeschlossen. Gerade hat er’s noch mal bekräftigt: Er habe schließlich nicht zum Spaß in Hamburg gemeldet, versicherte er, und das glaubt man dem Mann sofort. Nur aus Spaß macht der nämlich gar nichts.

Sonst könnte er sich in Hamburg vielleicht auch einfach einen falschen Bart ankleben, um so, von den Regelwarten unerkannt, ins Rennen zu gehen. Er dürfte lediglich vorher den Mund nicht aufmachen. Nicht weil er unangenehm daraus röche, da er sich (wie man allerdings vermuten und ihm kaum verdenken könnte) die Zähne nicht mehr putzte, sondern wegen seines extrem schwäbischen Dialekts. Der verriete ihn, zumal in Hamburg, sofort. Spätestens im Zieleinlauf könnte er sich dann den Bart vom Leibe reißen so wie dies gelegentlich unsere Fußballer tun mit ihren Trikots. Und so wie man dann auf deren Unterhemden deren Botschaften („Hallo Mutti!“) zu lesen bekommt, so könnte sich auch Baumann zuvor eine Message mit schweißfestem Stift unter den falschen Bart auf die Haut geschrieben haben: „Ich bin das Opfer einer Intrige“ beispielsweise oder sonst eine seiner zahllosen Erklärungen in eigener Sache, die man bislang nur auf seiner Homepage nachlesen kann. „Dieter Baumann ist vollständig rehabilitiert“, heißt es da zum Beispiel auf einer seiner, nicht selten marathonlangen Internetseiten.

Auf der sich auch sonst allerlei Überraschendes findet: ein Zitat von Herrmann Göring zum Beispiel („. . . meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken“) sowie ein Foto von Otto Schily. Das müsste dann allerdings ein recht geräumiger Bart sein, würde Baumann auch das noch alles darunter schreiben wollen.

Demnächst wird übrigens besagte Sportregel 53.1.ii auch in einige sportfremde Regelwerke einfließen. Zumindest ihr Prinzip planen einige Nahverkehrsbetriebe auf ihre Beförderungsbedingungen zu übertragen. Danach soll fortan allen Fahrgästen eines öffentlichen Verkehrsmittels, in dem ein Schwarzfahrer erwischt wird, ein erhöhtes Fahrgeld abgeknöpft werden. So hofft man, dass sich die Fahrgäste künftig gegenseitig kontrollieren und Schwarzfahrer, statt durch teure Kontrolleure, durch die Gemeinschaft aller Passagiere isoliert und von der Beförderung in Bussen und Bahnen ausgeschlossen werden.

Autorenhinweis:Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.