Mehr Freiheit statt hundsgemeiner Klischees

Für Katharina Rutschky gehört der mündige Stadthund seit langem zu unserer Kultur. Liebevoll und ideologiekritisch kämpft sie für dessen Rechte

Bevor die Neonazis im letzten Sommer die Schlagzeilen bestimmten, hatte man es auf den Stadthund in seiner kämpferischen Variante abgesehen. Nachdem er da und dort kleine und große Menschen geschädigt, gar ums Leben gebracht hatte (wenn auch weniger als jedes Wochenende auf Brandenburgs Straßen von jungen Rasern erlegt werden), waren diverse harsche Leinenzwang- und Maulkorbverordnungen erlassen worden, gegen die in Berlin allwöchentlich demonstriert worden war. Auch die Berliner Publizistin Katharina Rutschky, die ein paar Jahre zuvor auch gegen den Missbrauch des Missbrauchs protestiert hatte, war gegen Leinenzwang, Maulkorberlass und andere behördliche Schnellschussmaßnahmen vors Brandenburger Tor gezogen. Kein Wunder eigentlich, hatte sich die ehemalige Lehrerin doch schon Ende der 70er-Jahre als Gegnerin der schwarzen Pädagogik einen Namen gemacht.

Natürlich geht es in ihrem Buch „Der Stadthund“ auch gegen und um die haupt- und nebenamtlichen Feinde der Hunde, gegen die zweibeinigen Zeitgenossen, die Hunde in ihren Städten nur dulden wollen, wenn sie weder scheißen noch beißen und so pflegeleicht sind wie ein Stofftier; gegen die vorgeblichen Hundefreunde, die immer wieder mit dem Spruch ankommen, Hunde gehörten nicht in die Stadt, sondern aufs Land und „entgegen der gesicherten empirischen Erkenntnis, dass der Stadthund gesünder und langlebiger ist als der sagenhafte Landhund“ davon ausgehen, dass des Menschen beste Freunde in der Großstadt nicht artgerecht gehalten werden können.

Was ein ziemlicher Unsinn ist. Die Gegner des Stadthundes ignorieren, dass der Hund ja nicht nur Natur, sondern auch Kultur ist, dass er sich in den vielen tausend Jahren seines Zusammenlebens mit dem Menschen verändert hat, dass auch der Hund mittlerweile auf eine vieltausendjährige „Ko-Evolution“ mit dem Menschen zurückblicken kann, dass große Teile des Hundevolks natürlich verstädtert sind und dass wie gewöhnlich keiner der so genannten Tierfreunde den Hund nach seiner Meinung gefragt hat.

„Eine Gesellschaft, die die Abschaffung der Bahnsteigkarte riskiert hat, ist aber irgendwann einmal auch dafür reif, dem mündigen Hund ein wenig mehr Freiheit zu gewähren“, schreibt Katharina Rutschky und erzählt vor allem Geschichten aus dreißig Jahren, die sie mit Hunden in der Stadt zusammengelebt hat.

„Es ist schön, einen Hund zu haben – fast ebenso schön ist es, über ihn zu reden.“ Zuerst kam Nickel, dann kam Kupfer. Nickel war ein roter Cockerspaniel, Kupfer eher schwarz. Hunde sollte man nicht wie Menschen benennen, findet Katharina Rutschky und erzählt liebevoll, anekdotenreich und klug vom Leben mit dem Hunde und vom Sterben. Hundefeindschaften und wie sie ausgefochten werden und was das Wichtige daran ist werden erörtert. Gegengeschlechtlich scheint die Zuneigung zwischen Mensch und Hund am größten zu sein. Von der Pflege des Hundes wird erzählt. Die Parallelisierung von Kindern und Hunden leuchtet ein. Manche Spaziergänge mit dem Hunde, dem geborenen Flaneur, gehen über sechzig Seiten und streifen alle relevanten Themen des Zusammenseins mit Hunden. Die mächtige Hundekritik wird widerlegt, Hundenachrichten werden ideologiekritisch analysiert. Zwischendurch tauchen auch literarische Hunde auf und werden der Unwahrscheinlichkeit geziehen. Die meisten Hunde in der Weltliteratur sind ja nicht echt, sie funktionieren meist als erzähltechnischer Kniff oder atmosphärisch als Klischee. Oft sind sie leicht als Reaktionsbildungen zu erkennen wie die so namen- wie leinenlosen Vierbeiner, von denen sich die Heldin in Alexa Hennig von Langes Buch „Sex“ sexuell bedrängt fühlt.

Dies sei eher ungewöhnlich, so Katharina Rutschky. Die Autorin habe den Hund wohl so aggressiv sexualisiert, um „an seinem Bild jene Zustände von Ekel, Scham und Angst“ zu fixieren „von denen Hennigs Protagonisten vorgeblich nichts mehr zu wissen brauchen, wenn sie in allen erdenklichen Konstellationen handgemein werden“. – Gut gegeben! Das Buch „Der Stadthund“ ist schön. Als ich es las, kam tatsächlich ein Hund ins Zimmer, fand Gefallen an dem kleinen Lesebändchen und leckte freudig den Einband ab.

DETLEF KUHLBRODT

Katharina Rutschky: „Der Stadthund. Von Menschen an der Leine“. 224 Seiten, Rowohlt, Hamburg 2001, 32 DM