Zwischen Gespräch und Buffet

Der „Petersburger Dialog“ soll den Austausch der Zivilgesellschaften zwischen Deutschland und Russland fördern. Das erste Treffen blieb ohne konkrete Ergebnisse

Ein echter Dialog müsste eine breitere Basis haben. Staatstragende Eliten reichen dafür nicht aus

Blüht eine Osterglocke in den deutsch-russischen Beziehungen? Die neuen Männerfreunde Gerhard Schröder und Wladimir Putin jedenfalls meinen, die Blume zu sehen. In der Karwoche haben die beiden Pragmatiker ein gut gemeintes Projekt auf den Weg gebracht. Im „Petersburger Dialog“ sollen „prominente Vertreter des öffentlichen Lebens und junge Eliten“ die Gelegenheit zum „Abbau von Vorurteilen“ finden, um den Austausch der „Zivilgesellschaften beider Länder“ zu fördern. Ob mit dem Gesprächsforum in seiner gegenwärtigen Form dem gesellschaftlichen Dialog zwischen Deutschen und Russen jedoch wirklich auf die Sprünge geholfen wird, bleibt fraglich.

Zunächst zeigte bereits die Zusammensetzung der beiden – in der russischen Presse nicht zufällig als „Delegationen“ bezeichneten – Gruppen ein unterschiedliches Verständnis der Zivilgesellschaft. Ein Viertel der russischen Teilnehmer wurde von Parlamentsabgeordneten oder Vertretern der Exekutive gestellt. Hinzu kamen dutzendweise Leitungsfiguren staatlicher Institute, Unternehmen und sonstiger Körperschaften. Nichtregierungsorganisationen dagegen fehlten vollständig.

Von deutscher Seite wurde dies gelegentlich angesprochen, doch bei genauerem Hinsehen hatte auch die deutsche Liste ihre Tücken. Die gesellschaftlichen, also die nicht politischen oder wirtschaftlichen Vertreter, entstammten fast ausschließlich den Universitäten oder anderen parastaatlichen Institutionen wie etwa den politischen Stiftungen. Bis auf den verdienstvollen Deutsch-Russischen Austausch gehören jedenfalls auch deutsche Nichtregierungsorganisationen offenbar nicht zu dem, was sich die Initiatoren unter Zivilgesellschaft vorstellen. Im Übrigen fiel auf, dass die russische Seite mit einer deutlich jüngeren Gruppe vertreten war, die sich fast ausschließlich aus Moskau und St. Petersburg rekrutierte.

Stark vertreten waren auf beiden Seiten die Massenmedien, und zwar fast durchgängig mit leitenden Figuren. Ob Bild, FAZ, Sat.1, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Welt oder Zeit: Die Meinungsmacher der Republik waren zwei Tage lang hin- und hergerissen zwischen staatsinitiiertem Gespräch und üppigen Buffets. In solcher Atmosphäre schrumpft die Distanz zur Macht auf bedenkliche Weise. Prompt konnte eine Strategie der Staatsmänner beider Seiten aufgehen.

Das Minenfeld der zwischenstaatlichen Beziehungen, die andauernden Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, war auch den deutschen Medien während des Gipfels nicht weiter der Rede wert. Ungeachtet der Zusammensetzung der beiden nationalen Gruppen des Petersburger Dialogs offenbarte sich während der Gespräche das wohl grundlegendste Hindernis bei der Fortentwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen: das unterschiedliche Staatsverständnis.

In Deutschland wird nicht nur aus der Politik fortdauernd auf die europäische Dimension politischen und gesellschaftlichen Handelns hingewiesen. Auf der russischen Seite wurde hingegen ganz deutlich, dass die Stärkung der zwischenstaatlichen Beziehungen das vorrangige Ziel des Dialogs sei. Für den Großteil der russischen Elite stellt der starke Staat eine positive Bezugsgröße dar. In Deutschland hingegen wird die Integration des Staates in einen europäischen Bezugsrahmen favorisiert. Im einen Fall kann nur ein zentralisierter und übersichtlicher Staat die gesellschaftliche Entwicklung fördern, im anderen haben sich die Akteure daran gewöhnt, den Staat als vielgestaltiges, unübersichtliches und häufig unveränderliches Gebilde zu akzeptieren.

Auf der anderen Seite erfordert die Fortentwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen in den meisten Fällen eine Finanzierung eben durch den Staat. Da das verarmte Russland als Sponsor derzeit ausfällt, richten sich die Vorstellungen des Gesprächsforums an einen virtuellen Geldgeber. Die Bundesländer können nicht ohne den Bund, der Bund steht vor einer Haushaltssperre und beschwört die europäische Verantwortung. Eine ganze Reihe von „Ergebnissen“ des Petersburger Dialogs – etwa die Einrichtung einer Russischen Akademie in Berlin, eines Deutschen Historischen Instituts in St. Petersburg oder eine (erneute) Ausstellung Berlin–Moskau – haben damit nur geringe Aussicht auf Verwirklichung.

Aufgrund des Erfolgsdrucks, unter dem beide Regierungen stehen, haben dennoch einige Projekte Chancen auf Durchsetzung. Doch das hat mit dem St. Peterburger Treffen wenig zu tun. Wie auch im Lenkungsausschuss des Dialogs unumwunden zugegeben wurde, werden allein Finanzierungszusagen dafür ausschlaggebend sein, an welchen Stellen der neue Gedankenaustausch fruchten wird.

Politik wird auch in den deutsch-russischen Beziehungen von Geldgebern gemacht, die nicht allein der staatlichen Sphäre entstammen. Durch die Schaffung des Petersburger Dialogs werden allerdings die Staatschefs für sich in Anspruch nehmen können, alles Mögliche in die Wege geleitet zu haben – ein Lehrstück dafür, wie sich Regierungen bei geringem Aufwand mit gesellschaftlichen Aktivitäten Legitimität verschaffen können.

Bei alledem geriet aus dem Blick, in welchen Bereichen die Staaten selbst und unmittelbar zur Verbesserung der gesellschaftlichen Beziehungen beitragen könnten. Tagelanges Schlangestehen vor westlichen Botschaften oder die Verweigerung von russischen Visa für traditionell kritische Nichtregierungsorganisationen sind echte Schranken für den Austausch der Zivilgesellschaften. Allein das Fallenlassen der Einladungspflicht auf beiden Seiten würde die Kontakte über die Grenzen wohl um ein Vielfaches beleben. Dafür müssten sich die Staatschefs allerdings um die Überwindung von Widerständen bemühen. Da hat man es mit einem unverbindlichen Dialog doch leichter.

Ein Viertel der russischen Teilnehmer kamen aus der Exekutive oder waren Parlamentsabgeordnete

Man muss kein Hobbygärtner sein, um zu wissen, dass Osterglöckchen kurze Zeit blühen, lange im Boden verschwinden, um dann ein Jahr später unverhofft wieder aufzutauchen. Intensiver Pflege bedürfen sie nicht, und gerade das macht sie attraktiv. Der Petersburger Dialog hat begonnen, er wird bis nächstes Frühjahr ruhen, um dann mit kräftiger Unterstützung der deutschen Medien in Weimar erneut ins Gedächtnis der Öffentlichkeit gerufen zu werden.

Dem Wesen gesellschaftlicher Beziehungen entspricht diese Praxis nur bedingt. Diese müssen laufend kultiviert werden, und es muss so viel wie möglich Platz für Kontakte von unten geben. Der Dialog muss eine breitere Basis haben, als dies unter der – im Falle des Petersburger Dialoges gewiss gut gemeinten – Einmischung staatstragender Eliten möglich ist.

Der russische Staat müsste hierfür dazu bereit sein, gesellschaftlichen Gruppen mehr Autonomie zu gewähren und auch abweichende Meinungen nicht reflexartig zu unterdrücken. In Deutschland wäre es an der Zeit, dass der Staat das immer stärker zurückgehende finanzielle Engagement wenigstens mit dem Abbau bürokratischer Hürden flankiert. TIMM BEICHELT