Kollektive Erinnerung

Mit offenen Fragen baut das Museum für Völkerkunde an neuen Umgangsformen zwischen Publikum und Objekt  ■ Von Hajo Schiff

Fast alles, was sich zu einem Thema in den Magazinen findet, in die Ausstellungsräume bringen und dem Publikum wie einen Schatzfund von Omas Dachboden präsentieren: Dieses ungewöhnliche Konzept lag der großen Japan-Ausstellung zugrunde, die am Ostermontag zu Ende ging. Bei der Eröffnung im letzten Oktober in Form und Inhalt teils eher kritisch beurteilt, scheint sich das Konzept aber bewährt zu haben: Kaum jemandem der 115.000 Besucher war bisher bekannt, dass es in Hamburg eine weit über 4.000 Stücke umfassende Japan-Sammlung gab.

Aber auch innerhalb des Museums fehlte eine konsequente Aufarbeitung, sodass weder der gesamte Umfang noch Art und Qualität einzelner Stücke erfasst waren. In selten uneitler Haltung baten die Museumsfachleute nun in der Ausstellung um Informationen des Hamburger und internationalen Publikums. Und was als arbeitssparender Trick hätte abgetan werden können, wurde zu einem gelungenen Kommunikationskonzept.

Hunderte von mündlichen und schriftlichen Rückmeldungen sowie gezielte Geschenke und Angebote zur Mitarbeit gingen ein. Und das ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Denn eine Sammlung wie diese hat ja eine doppelte Geschichte: Zu der bei einem Völkerkundemuseum selbstverständlichen Frage, was die Objekte innerhalb ihrer Kultur einst bedeuteten, tritt die ebenfalls nicht unwichtige Erinnerung an die eigene Sammlungsgeschichte in der Frage, wa-rum welche Hamburger Kaufleute wann was herbeigeschafft haben.

Denn die Sammlung ist von einer ganz ungewöhnlichen Breite. Da gibt es einfache Papierunterhemden, die mit simplen Einkäufen im nächsten Laden als reine Warenproben nach Hamburg geschickt wurden, es gibt seltsame Waffen und augenscheinlich höchst wertvolle Antiquitäten, möglicherweise sogar aus dem Tokioter Kaiserschloss. Solch eine Zusammenstellung von Objekten erfordert höchst unterschiedliches Fachwissen. Und um singuläre Qualitäten von Büchern und Rollbildern von netter Dutzendware zu unterscheiden, braucht es vielleicht den Blick und die Marktkenntnis eines Hamburger Sammlers wie Gerhard Schack. Der jedenfalls ist so begeistert, dass er einen Teil dieser Schätze auf mehr oder weniger eigene Kosten publizieren will.

„Unser Konzept hat auch bei der japanischen Kolonie viel ausgelöst“, sagt Direktor Wulf Köpke. Mit der hiesigen Gemeinde und Schule hat das Museum immer schon gut zusammengearbeitet. Nun kamen auch Museumsleute anderer japanischer Sammlungen in Europa und auch aus Japan selbst. Als ein japanischer TV-Sender mit sechs Leuten angereist kam und dann beschloss, mit zwanzig Fachleuten noch einmal wieder zu kommen und schließlich den Direktor mit einigen wertvollen Objekten für fünf Tage nach Tokio einlud, spätestens da war klar, dass es durchaus Sinn macht, in ethnologischen und kulturhistorischen Fragestellungen die traditionellen engen Fachkreise zu verlassen und auch über die Medien die kollektiven Erinnerungen zu aktivieren.

Was sind nun die Konsequenzen? „Erst einmal fühlt sich das Museum in seinem Konzept bestätigt. Dann haben wir viel Geld in die Magazine gesteckt, damit die Sammlung nicht wieder vergessen wird – und wir müssen wohl dem oft geäußerten Wunsch nachgeben, die Ausstellung, vielleicht in anderer Form, weiter zugänglich zu halten“, sagt Wulf Köpke.

Nächste Woche wird er auf einer Pressekonferenz einige der japanischen Gutachten und weitere Pläne vorstellen. Mit dem vorläufigen Abschluss der Erfassung und einem Katalog der Sammlung wird dann in etwa drei Jahren gerechnet.