Plädoyer für die Langsamkeit

■ Ein Kreuzschiff wird demnächst die Gewässer von Weser bis Elbe unsicher machen, doch bislang wissen nur wenige um die Vorteile des beschaulichen Transportmittels

Die Bahn bekommt mächtig Konkurrenz: Schon bald lässt sich die Strecke Bremen-Hamburg in sagenhaften 192 Stunden bewältigen, während die Bahn noch mit einer knappen Stunde lockt. Schuld ist das neue Traumschiff des Nordens – die MS Fluvius. Ende April wird das bunt beflaggte Kreuzfahrtschiff zwischen dem „pulsierenden Hafen an der Elbe“ und Martinianleger für „unvergessliche Stunden“ sorgen, wie der Organisator KVS tours verspricht.

Es wird zweifelsohne rhetorisches Geschick vonnöten sein, dem berufstätigen Pendler die Vorteile des Wasserweges schmackhaft zu machen. Auch wenn nicht auf den ersten Blick ersichtlich, birgt die gemächliche Fahrt mit der MS Fluvius eine Reihe erstaunlicher Vorteile.

Der Wasserweg über Minden, Hannover und Lüneburg ist wahrlich nicht der kürzeste. Der Prospekt des Veranstalters weist aber bereits ganz richtig auf etwas Grundsätzliches hin: „Der Weg ist das Ziel“ und, wie sich hinzufügen ließe, auch das Medium. Der komfortable, schicke Aussichtssalon, der mit seinem zeitlosen Design schlichter Mahagonistühlchen und bunt bedruckter Vorhänge im klassischen Faltenwurf prophylaktisch jede Geschmacksaufregung meidet, garantiert ein ruhiges Fahrerlebnis mit absoluter Beinfreiheit. Auch die Fans der rollenden Mitropa-Minibar müssen mit keinerlei Einbußen rechnen. Die Bar im trendigen Rosenholzimitat lädt zum Plausch, falls das Mittagessen vorüber und an den Tischen der Gesprächsstoff ausgegangen sein sollte. Sowohl der Bahn als auch dem Schiff ist gemeinsam, dass „in öffentlichen Räumen wie Restaurant und Lounge Badebekleidung nicht erwünscht“ ist. „Sportlich bequem und leger“, lautet tagsüber die Devise auf der Fluvius, und wer möchte, „erscheint abends in eleganter Kleidung.“

So schaukeln die Passagiere teils leger, teils elegant im sanften Wellenschlag über Weser, Mittellandkanal und Elbe. Und damit auf gar keinen Fall Hektik aufkommt, wären da noch die absichtlich eingelegten Zwischenstopps im Vogelpark Walsrode, Celle, Hameln und Lüneburg, ein kulturelles Zusatzprogramm, das die Bahn auf der Fahrt von Bremen nach Hamburg bisher total vernachlässigt hat. Auch hier argumentiert der Traumschiff-Organisator wieder in bestechender Weise, dass den Passagier durch ein wechselndes Programm „jeden Tag neue Horizonte erwarten“.

Auf der Fluvius spricht der Reisende weniger von Abteilen als von Kajüten. Alle Kajüten, die Schlafplätze für 29 Gäste bieten, sind mit eigenem Bad, Klimaanlage und Fernseher plus Fernbedienung ausgestattet – nicht, dass es bei dem prall gefüllten Programm zu tückischen Beschäftigungslücken käme. Schließlich bietet das Boot mit einer sozialen Begegnungsfläche von 90 Quadratmetern im Salon, multipliziert mit einer achttägigen Aufenthaltsdauer, die Möglichkeit, automatisch persönliche Kontakte zu knüpfen. Gut, ein Pluspunkt, den die Bahn mit überfüllten Gängen schon längst im Programm hat. Eindeutig punkten kann die Fluvius hingegen mit ihren zwei Sonnendecks: Selbst beim Passieren niedriger Brücken muss dank der Bootskonstruktion niemand fluchtartig den Liegestuhl verlassen. Und, wahrhaftig ein bahnbrechendes Argument, würde die Bahn auf der Fahrt von Bremen nach Hamburg ihren Gästen einen stufenverstellbaren Haartrockner zur Verfügung stellen?

Ina Stelljes