Gummi geben in Gefühlsdingen

■ Die Vorschau: «Systemhysterie‚ aus Hannover machen behutsame Jungsmusik. Am Donnerstag kommt die Band, von der noch viel zu hören sein wird, ins Lagerhaus

Nur ein Gedicht. Und ein Freimarktherz. Mit Zuckerguss, bunt. Darauf steht: „mit meinem Gefühl für dich“. Sturm im Zettelkasten, der ein Wasserglas sein kann oder ein See oder ein Ozean von Sound. Darin schwimmt das Trio „Systemhysterie“. Und möglicherweise schwimmt es sich auch frei.

Im ersten Song des Debütalbums der Hannoveraner Popband, einem Traumtext, spricht schon die ganze Stadt von Systemhysterie, jemand klopft an die Tür und der Sänger Tim Hespen träumt „einen Traum für uns“. Womit zumindest textlich einiges vorgegeben wäre, von dem sich das junge Trio in den folgenden knapp 45 Minuten nicht lösen wird. Behutsame Jungsmusik spielen Hespen, der Bassist Torge Bleicher und Schlagzeuger Nikolas Faust. Es fällt auf, dass in den Credits Mark von nebenan gegrüßt wird und auch ein Koch aus Jena, aber keiner, dessen Name uns schon mal untergekommen wäre. Und es produzieren auch weder Levin noch von Rautenkrantz, sondern zwei Herren vom in der vormaligen Expostadt ansässigen Institut für Wohlklangforschung.

Das passt irgendwie, denn wie die Songs auch arrangiert sind – als Pianoballade, von sanften Elektroklängen umspülte Liebeslyrik oder straighte Rocktrionummer mit Feedbackintro – es bleiben Liebeslieder, die vieles nicht sind, was in den letzten Jahren in Sachen deutschsprachiger Popmusik auf den Markt kam. Kein Polit-E-Punk wie bei den Zitronen, kein popmäßiges Sich-Freispielen wie bei der Band Blumfeld, keine eklektizistischen Klangschichtungen wie bei Kante, keine resignative Identitätsstiftung wie bei Tocotronic und auch – was bei Lovesongs einer Jungsband vielleicht am schwersten wiegt – keine ins Zynische gehende Abgeklärtheit wie in den Texten der Lassie Singers.

All das findet man in der „Systemhysterie“ nicht. Vielleicht ist der Name in diesem Sinne Programm: ein Schritt in Richtung Post-Diskurspop, wenn's denn ein Label sein soll. So dass Zeilen wie „Ich gehör' jetzt nur noch mir“ den liebeskranken Twentysomething mit der Verweigerung des Link Pop/Politik. In einer „Samstagnachtbewegung“, die das Ende der Postbeziehungsdepression markiert, wenn das Ich schließlich „wieder Teil von mehr als nur mir selbst“ ist.

Doch besteht Musik eben aus mehr als dem Text. Und die Songs auf „Mit deinem Gefühl für mich“ sind bei allem Abwechslungsreichtum kompakt genug, um einen netten Abend zu bescheren. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. „Systemhysteries“ Geschichte ist sicherlich nicht uninteressant weiter zu verfolgen. Auch wenn wir „und dabei fiel mir wieder ein, was ich an diesem Abend in mein Tagebuch geschrieben hab“ bitte bitte nicht mehr hören wollen.

Im Anschluss an das Konzert folgen Meister Proppers monatliche Slam Masters.

Tim Schomacker

„Systemhysterie“ am Donnerstag, 19. April, um 20.11 Uhr im Lagerhaus, Schildstraße.