Schweigen für Geld

■ Beim Festival „pro musica antiqua“ beginnt das Post-Komponistische Zeitalter mit spannenden Konzerten

Schön, dass es beim gebeutelten Radio Bremen wieder einmal eine Pressekonferenz mit geistigem Inhalt gab: Die diesjährige „pro musica antiqua“ wurde vorgestellt. Das am 3. Mai beginnende Festival findet seit 40 Jahren statt und wechselt sich ab mit „pro musica nova“. Schon 1999 wurde deutlich, dass der Hauptabteilungsleiter und Festivalplaner Peter Schulze wieder mehr an die Konzeption Hans Ottes anknüpfen wollte. Der Komponist und damalige Hauptabteilungsleiter hatte 1961 angefangen, außereuropäische Musikgruppen einzuladen und dabei insbesondere auf Traditionen gesetzt, bei denen noch eine ununterbrochene, weil mündlich weitergegebene Aufführungspraxis herrscht. Es handelt sich um eine Musik, die gleichzeitig Vergangenheit und Gegenwart ist.

Bei der Vorbereitung der diesjährigen „antiqua“ wurde Schulze besonders von dem Text des russischen Komponisten Vladimir Martynov inspiriert, dessen Buch „Das Ende der Zeit der Komponisten“ im Sommer 2001 in Moskau erscheinen soll. Leider konnte es nicht mehr gelingen, ein wissenschaftliches Symposion zusammenzustellen, denn Schulze erhielt den Text viel zu spät.

Die Kernthese des 1946 geborenen „Komponisten“, wie er sich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks immer noch nennen muss, ist radikal. „Das Prinzip der Komposition hat seine innere ontologische Bedeutung verloren“, schreibt Martynow. Deshalb friste neue komponierte Musik „in der zeitgenössischen Welt eine jämmerliche Existenz“, obwohl es durchaus kompositorische Talente und eine ganze Reihe bemerkenswerter KomponistInnen gäbe. Nach Martynows Definition haben historisch-orientierte Menschen komponiert, die Theorie- und Notationssysteme im Lauf der Zeit selbstzweckhaft bis zur Sinnlosigkeit weiterentwickelt haben. Er meint damit, dass die KünstlerInnen die Existenzberechtigung verloren hätten, weil sie keine repräsentativen oder kommunikativen Funktionen in der Gesellschaft mehr bekleideten.

Das sitzt, und wir werden im Festival hören, welche geistige Substanz die musikalischen Folgen haben.

Martynov selbst wendet sich mündlichen Traditionen zu und hat in Nord- und Zentralrussland, im Kaukasus, Pamir und in Tadschikistan nach so genannter Volksmusik geforscht. Die „Nacht in Galizien“, die mit zwölf SängerInnen und neun InstrumentalistInnen in Bremen uraufgeführt wird, basiert auf alt-slawischen Gesängen (5. Mai). Auch alle anderen Konzerte unterstehen einer solchen These und tasten sie vielfältig ab: So in der Deutschlandpremiere „Maharaja Flamenca“, in der sich MusikerInnen aus Rajasthan und Andalusien gemeinsam alten Romatraditionen nähern wollen (3. Mai). So „Budowitz“, die osteuropäische Klezmermusik bringen (4. Mai). So „Milenarium“, die Handorgelmusik mit Schlagzeug aus dem 14. Jahrhundert zur Grundlage ihrer Improvisationen machen (5. Mai). So „Supreme Silence“ von Peeter Vähi, der sich mit einem Handglockenensemble und einem estnischen Männerchor tibetanischen Buddhismusritualen nähern will, die noch nie öffentlich wurden. Der dritte Satz seines Werkes besteht aus komplettem Schweigen (6. Mai).

Ergänzt werden diese „Werke“ vom in Bremen reichlich bekannten Ensemble „Tragicomedia“, das unter dem Tiel „Capritio“ Ziegentänze des 17. und 18. Jahrhunderts vorstellt (6. Mai). Und mit einem Konzert mit Jeremiavertonungen aus dem Mittelalter und der Neuzeit (4. Mai).

Für reichlich Hör- und Diskussionsstoff ist gesorgt. Denn Martynov und Vähi vertreten zwar eine radikale Haltung, die wir auch vom lettischen Komponisten Arvo Pärt gut kennen. Doch die offene praktische Frage ist, ob sie sich als Werk übersetzen lässt und als Komposition vermeiden kann, das gefundene Material quasi zu kolonialisieren.

Ute Schalz-Laurenze

„pro musica antiqua“ vom 3. bis zum 6. Mai mit Konzerten im Kulturzentrum Schlachthof, im Radio-Bremen-Sendesaal, in der Schauburg und in der Kirche Unser Lieben Frauen. Karten bei Ear, Vor dem Steintor 36, oder im Buchladen Ostertor, Fehrfeld 60. Karten und weitere Infos gibt's auch bei Radio Bremen unter Tel.: 0421/246 14 71