Stile stapeln

Nerven wie dünne Fäden: Die Jazzformation Sex Mob spielt im Tränenpalast. Abba, Nirvana, Ska oder satter Seventies Funk – immer schön rocken und restrukturieren

Die Nacht liegt über der Straße. Schwarze Müllbeutel stapeln sich vor den Hauseingängen.

Wir sind in New York, downtown, direkt um die Ecke von der Williamsburg-Brücke, wo einst Sonny Rollins täglich übte. Hier befindet sich das „Tonic“, der derzeitige Mainstand der New Yorker „Down-Town-Szene“. Es ist der Club von John Zorn, der die Programmgestaltung monatsweise einem Musiker überlässt. Blasse, junge Gesichter mit dem Gesichtsausdruck der Eingeweihten haben sich vor der Kasse aufgereiht. So jung sind sie, dass neben der Tür ein handgeschriebenes Schild darauf hinweist, jeder müsse sich als mindestens einundzwanzigjährig ausweisen. Wir werden nicht gefragt.

Im Nebenraum führt eine karge Buchhandlung die Werke von Marx und Engels sowie einige Bildbände von Andy Warhol. Zigaretten werden gedreht, Hemden hängen locker über Cordhosen, glossgetönte Mädchenlippen schimmern im Dunkeln neben schweren, roten Samtvorhängen. Bands mit seltsamen Namen stehen hier auf der Bühne. So wie „Sex Mob“, eine der Konzeptbands von Steven Bernstein, Trompeter, Arrangeur und musikalischer Direktor von u. a. John Luries Lounge Lizards.

Der Name spiegelt die Einstellung: Punk wird zu Trash-Pop, Anarchie ist hip. Auf der Band-Homepage räkeln sich Sixties-Pin-Ups, der Fun-Faktor steht im Vordergrund. Mit seiner Slide-Trompete, einer Art Posaune in Kleinformat, gleitet Bernstein vom Bond-Theme bis Abba, Prince und Nirvana durch unwirklich bekannte Fetzen der Musik, die er auf dem Weg zum Klub gerade in den Ohren hatte. Spontane Arrangements, die Band spielt dazu: kreischend, reißend und die Nerven zu dünnen Fäden in die Länge ziehend. Like it or leave it. Stile stapeln sich, schalten die Orientierung aus. Neben dem Ska-Rhythmus bringt der langsame satte 70s-Funk die Leute in Bewegung, bei den harten, schnellen Soli flippen sie aus.

„Es muss rocken“, sagt Bernstein. „Es rockt“, sagt ein College-Girl. „Es rockt“, sagt der Kritiker vom Down-Beat-Magazine. Ende der 70er-Jahre im Zuge der gerade zu Ende gehenden Loft-Bewegung nach New York gespült, fühlt sich Bernstein immer noch der Downtown-Szene zugehörig. Vor allem, was die Annäherung an Musik betrifft: Bekanntes wird zerrissen, gespült, gefärbt, wieder ausgewaschen und dann irgendwie zusammengeklebt.

Zweimal schon waren Sex Mob in Berlin und ganz ohne die Welt zu verändern. Einmal im Spätrahmenprogramm des JazzFests und dann bei einem Event, der ein „Festival mit Anspruch“ sein mag und diesem verzweifelt hinterherrennt: „Jazz Across The Border“. Inzwischen ist der Major-Vertrag, den die Plattenfirma der Knitting Factory – und damit auch Sex Mob - mit Columbia hatte, wieder hinfällig, und fast scheint es, als hätte sich die einst so gerühmte Downtown-Szene mittlerweile selbst überlebt. Oder sie restrukturiert sich gerade. MAXI SICKERT

Sex Mob spielen heute ab 20 Uhr im Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte