Zwischen den Stühlen sitzen

Am Freitag eröffnet die zweite Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Künstler aus 31 Ländern stellen in den Kunst-Werken, im Postfuhramt, an der Jannowitzbrücke und in den Treptowers aus. Für die Kuratorin Saskia Bos geht es dabei nicht um Status und Events, sondern um Synergieeffekte

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Eine Ausstellungseröffnung ist wie eine Premiere, in der man bis zum Schluss vor Überraschungen nicht sicher ist. Erst wenn zwei Tage vor der Eröffnung der zweiten Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst das Faltblatt gedruckt wird, welcher Künstler an welchem Ort zu sehen ist, können Saskia Bos und ihr Team von Technikern ein wenig aufatmen. „Wir erwarten noch aus Thailand den Beitrag von Surasi Kusolong: Der ist gezeichnet und beschrieben, aber erst wenn man es auspackt, weiß man, wie es stehen kann“, berichtet die Kuratorin kurz vor der Eröffnung. „Denn leider hat unser Etat nicht erlaubt, alle Künstler zwei Wochen vorher zum Aufbau einzuladen, sie kennen die Räume teils nur über E-Mails und Fotos.“

Nun findet sie doch statt, die zweite Berlin Biennale, wenn auch mit einem halben Jahr Verspätung und ohne den ursprünglich angepeilten Synergieeffekt mit der Kunstmesse im Herbst. Finanzielle Probleme, die den Kunstwerken, Initiator der Biennale, im Laufe ihres Umbaus entstanden waren, hatten zur Verzögerung des Projekts geführt, das im Herbst 1998 zum ersten Mal gestartet war. Mit über 500 Artikeln in der internationalen Presse heimste die erste Biennale ein Medienecho ein wie noch kein Kunstverein zuvor – und zog sich zugleich den Vorwurf zu, mit ihrem Motto Berlin/Berlin den Hype der Stadt zu überreizen. Besonders geriet der künstlerische Leiter, Klaus Biesenbach, dessen schnelle Karriere im ansonsten eher zähflüssigen Berliner Kunstbetrieb misstrauisch verfolgt wurde, in die Kritik, im Bündnis mit Sponsoren Kunst vor allem als Standortfaktor zu vermarkten. Viel war von Gentrification die Rede und den Verdrängungsprozessen besonders im gewandelten Ostberlin. Schon im Vorfeld überschattete diese Diskussion die Auseinandersetzung mit der Kunst.

Das hält Saskia Bos, die in Amsterdam Direktorin der Kunsthalle der De Appel Foundation ist, für eine typisch deutsche Neigung: die Haut schon zu verkaufen, wenn der Bär noch nicht geschossen ist, und Ausstellungen bereits vor der Eröffnung nach Künstlerlisten zu beurteilen. Ihr ist es gelungen, die zweite Biennale vor diesem Verheizen im Voraus in Schutz zu nehmen.

Eine böse Definition von Biennalen lautet, dass sie zu Events geworden sind, die eine Kommune gut aussehen lassen, wenig kosten und ihre Schwächen verdecken. Ein Statussymbol wie eine Olympiade, nur billiger. In Amsterdam hat sich Saskia Bos selbst einmal gegen den Plan einer solch regelmäßigen Schau ausgesprochen, weil sie befürchtete, dass dann der Subventionsfluss für kleinere Institutionen kaum noch etwas übrig gelassen hätte. Trotzdem glaubt sie, dass die Biennale in Berlin positive Energien freisetzt. „Wir sitzen hier in diesem wunderschönen Café Bravo, das Dan Graham im Hof der Kunst-Werke gebaut hat und interessanter ist als ein übliches Kunst-am-Bau-Projekt“, nennt sie ein Beispiel für die Gewinne der ersten Biennale. „Die Galerien-Szene wird profitieren, und auch Künstler, die nicht von Galeristen vertreten sind, bekommen mehr Aufmerksamkeit. Kritiker und Ausstellungsmacher aus dem Ausland lieben es, im Biennale-Kontext nach dem Off-off-Broadway, dem marginalen Event, zu suchen.“

Ähnlich wie die Weltausstellungen wurden Biennalen vor einem Jahrhundert erfunden, um Kunst im nationalen Wettbewerb und als Leistungsschau zu sehen. In Städten wie São Paulo oder Johannesburg entstanden sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als wichtige Geste der Selbstbehauptung lange ausgegrenzter Kulturräume. Dorthin den Blick zu lenken, fand Saskia Bos auch ein sinnvolles Konzept für Berlin. Denn die Stadt, die mit Internationalität wie mit einem Gut umgeht, das man einfach in die Tasche stecken kann, ohne etwas dafür zu tun, arbeitet in ihren Augen zu wenig an einem tatsächlichen Dialog.

„In der Schweiz, Holland oder England informiert man sich viel mehr in Bibliotheken und Fachbuchhandlungen und liest ausländische Kunstzeitschriften. Hier gibt es kaum internationale Kunstbuchläden“, fiel der Kuratorin auf. Sie setzt in ihrer Ausstellung auf eine diskursive Auseinandersetzung, die Lesen und Zuhören auch in Fremdsprachen verlangt. Da gibt es zum Beispiel eine englisch untertitelte Videoinstallation von Kutlug Ataman, der durch seinen Spielfilm „Lola und Bilidikid“ bekannt wurde. Bei Ataman geht es darum, sich in die Gespräche eines Transvestiten in Genf hineinzubegeben, der zwischen den Geschlechtern und zwischen den Kulturen lebt. Das verlangt Zeit – und Wissen-wollen: „Aber dieses Leben zwischen den Stühlen, das Gefühl, nicht an den Ort zu passen, an dem man lebt, ist das Problem so vieler Leute. Das ist ein verbindendes Element“, sagt Saskia Bos, die nach solchen Berührungen sucht.

48 Künstler aus fünf Kontinenten hat sie eingeladen. „Anfang des Jahrhunderts schaute ein Picasso nach Afrika, um Inspiration zu finden. Heute drehen wir das um und wollen afrikanische Künstler hier sehen – aber nicht irgendwelche, sondern solche, die mit Kritik und Bewusstsein auf unsere Kunstwelt reagieren, nicht um sie nachzuahmen, sondern um wirklich einen Dialog zu ermöglichen“, skizziert sie ihre Kriterien. Das erhofft sie sich zum Beispiel von Pascale Marthine Tayou, der aus Kamerun stammt und in Brüssel lebt. „In seiner Arbeit ‚Externet‘ fragt er: Was heißt Global Player, wer hat die Kontrolle, wer steuert, wer stellt die Verbindungen her?“

Unterstützung für ihre Arbeit fand sie beim British Council, der niederländischen Mondriaan Stiftung und einer französischen Kulturinstitution. Sie alle verfügen über langfristige Verbindungen, denn in den ehemaligen Kolonialstaaten spielt die Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonialismus, auf dem auch der kulturelle Reichtum Europas beruht, schon lange eine Rolle. Aus Freundschaft ist zudem das Künstlerhaus Bethanien einbezogen: Henrik Hakansson aus Schweden, der da gerade ein Stipendium hat, stellt dort und in den S-Bahn-Bögen an der Jannowitzbrücke aus. Eine nahe liegende Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt scheiterte am Budget. Stattdessen ist ein Ausleger der Biennale in den Treptowers am Firmensitz der Allianz zu Gast, als Geste der Anerkennung für die Unterstützung durch deren Kulturstiftung. Denn die Biennale, die zur Hälfte aus dem Hauptstadtkulturfonds finanziert wird, muss die andere Hälfte der Mittel über Sponsoren sichern.