Lobbying im US-Hinterhof

Mit seiner Lateinamerika-Reise demonstriert der chinesische Präsident Jiang Zemin eine selbstbewusste Außenpolitik und vertritt Chinas wirtschaftliche Interessen

BERLIN taz ■ In Venezuela wollte Chinas Staats- und Parteichef Jiang Zemin gestern seine zwölftägige Lateinamerika-Reise durch sechs Staaten beenden. Venezuelas populistischer Staatschef Hugo Chávez versprach dem Gast aus Peking, dass der Vertreter seines Landes in der Genfer UN-Menschenrechtskommission gegen einen chinakritischen US-Antrag stimmen werde.

Mit der Abstimmung über Washingtons Antrag, der eine Verurteilung Chinas unter anderem wegen der brutalen Repression der Falun-Gong-Sekte beinhaltet, wird für heute gerechnet. Von den sechs Staaten, die Jiang besuchte, sind bis auf Chile alle in der 53-Staaten zählenden UN-Menschenrechtskommission vertreten. In der Vergangenheit hatte die Kommission immer für Nichtbefassung mit chinakritischen Anträgen gestimmt, was jetzt auch wieder der Fall sein dürfte.

Mit seiner ausgiebigen Lateinamerikareise, die ihn auch nach Argentinien, Uruguay, Brasilien und Kuba führte, demonstrierte Jiang Zemin sowohl innen- wie außenpolitisch Selbstbewusstsein. Innenpolitisch, weil er trotz der aktuellen Krise um das notgelandete US-Spionageflugzeug unbeirrt die Reise antrat. „Ich habe alles unter Kontrolle“, lautet Jiangs Botschaft. Und dass die Reise ausgerechnet in eine Region geht, die die USA traditionell als ihren Hinterhof betrachten, zeigt Pekings Selbstbewusstsein in der Außenpolitik.

Die Volksrepublik bietet sich der Region als Partner an, um den Lateinamerikanern zu helfen, ihre wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von den USA zu mindern. Eine von Jiangs Lieblingssthemen während der Reise war denn auch die von China favorisierte „multipolare Weltordnung“. In ihr strebt Peking eine größere Rolle an, während Washingtons Hegemonie reduziert werden soll. In Brasília sprach Jiang gar ausdrücklich von einer „strategischen Freundschaft“ zu Lateinamerikas größtem Land, die er mit seinem bereits zweiten Besuch dort unterstreichen wolle.

Jiang nahm Lateinamerika auch persönlich ernst. Der 74-Jährige hatte nicht nur vor der Reise noch kräftig Spanisch gepaukt, um etwa im chilenischen Santiago einheimische Geschäftsleute mit einer 40-minütigen Rede in ihrer Sprache beeindrucken zu können. Jiang achtete auch darauf, dass der aktuelle Spionagekonflikt mit den USA seine Reise nicht dominierte. Nur selten äußerte er sich überhaupt zum Stand der Krise. Vielmehr genoss Jiang demonstrativ eine Kutschfahrt in Argentinien, ließ sich chilenische Weinbautechniken erklären oder sang mit seinem kubanischen Gastgeber Fidel Castro, den er schon zum zweiten Mal besuchte.

Lateinamerika ist für China zum wichtigen Wirtschaftspartner geworden. Das Reich der Mitte bezieht Kupfer aus Chile, Getreide aus Argentinien, Eisenerz aus Brasilien und Wolle aus Uruguay. Dagegen liefert die Volksrepublik vor allem industrielle Produkte. China ist ein wichtiger Investor in Venezuelas Ölsektor und einer der größten Kreditgeber Kubas. Im vergangenen Jahr stieg Chinas Handelsvolumen mit Lateinamerika um 50 Prozent auf 12,6 Milliarden Dollar.

Jiangs Reise ist noch aus einem anderen Grund wichtig, und der heißt Taiwan. Den in Zentralamerika und der Karibik sitzen die wichtigsten Unterstützer der von China als abtrünnige Provinz betrachteten Inselrepublik. Von den 28 Staaten, die Taiwan international anerkennen, sind 14 aus Lateinamerika. Für Ende Mai hat Taiwans Präsident Chen Shui-bian bereits eine Zentralamerika-Reise angekündigt.

SVEN HANSEN