Im Koma mit Coma

Cosima von Bonin und ihre StudentInnen der HfbK präsentieren sich und ihre Arbeiten auf der „Wir, Comawoche“  ■ Von Frank Schönian

Eine Ex-Filiale der Deutschen Bank als Schauplatz komatöser Metamorphosen? Ja! Eine Love Parade aller Künste hat der um Cosima von Bonin versammelte Künstlerzirkel, der mehrheitlich aus StudentInnen der HfBK besteht, in Bewegung gesetzt. Vom 18.4. bis zum 25.4. werden täglich wechselnde Ausstellungen präsentiert.

Der gestrige Auftakt des siebentägigen Marathons bildet programmatisch die Intention der Ausstellungsmacher ab: Die Integration des individuellen Schaffens, sei es auf dem Gebiet der bildenden Künste, der Video- oder Filmproduktion, der Musik oder der Literatur, in ein synästhetisches Gesamterlebnis, das in ein intensiviertes Wir-Gefühl für Künstler und Besucher gleichermaßen münden soll.

Und so gab es zur gestrigen Eröffnung dreidimensionale Stäbchenzeichnungen von Tjorg Beer, die, einem durchbrochenen Tunnel nachempfunden, die Unwägbarkeiten des Lebens symbolisieren. Der Künstler stellt mit einem benachbarten Sandhaufen, durch den sich ein Knicktunnel schlängelt, die Funktionalität von Alltagserscheinungen in Frage.

Tatjana Sarah Greiner ruft mit einem Objekt die sich stetig verschiebende Gemengelage persönlicher Erinnerungen wach: Eine mit riesigen Fotos aus Kindheitstagen doppelt überklebte Spielhütte reflektiert ihr Verhältnis zur eigenen Jugend, das durch die Gegenwart gebrochen betrachtet wird.

Daneben erinnert Ulla Brandenburgs Video, das die Künstlerin als Kind beim Reiche-Leute-Spiel zeigt, an die Beliebigkeit von Behauptungen, an die Inkongruenz zwischen innerer Einstellung und öffentlichem Schein. Als Mitglied der Gruppe Myö versteigert Tellervo Kalleinen ihre Kleidung in einer Performance, die eine Komposition aus Talk-Show, bewusst amusisch vorgetragenen finnischen Folk-Songs und Auktion ist. Damit konnte die Künstlerin schon einmal ihren Rückflug nach Helsinki finanzieren. Das zwischenmenschliche Happening kulminiert in einer Discothèque au petit pied.

Heute Abend steht bereits ein runderneuertes Programm an mit einem Filmprojekt von Tellervo Kalleinen, Lesungen sowie einer Platten-Session mit den DJs Arj Snoek, Matt Bonin und Niedlich, die „die Plattenteller zum Blühen und die Ohren zum Glühen“ bringen. Dass die gestrige Ausstel-lungsetappe nicht mehr erleb-, seh-, hör-, fühl- oder tanzbar ist, hat seinen guten Grund: Mit dem Austausch der Exponate wird an das Gemeinschaftsbewusstsein der Künstler appelliert, dass jeder eine räumlich wie zeitlich demokratisch gleich verteilte Gelegenheit zur Selbstdarstellung hat: Egalität statt Egozentrizität.

Ein weiterer inhaltlicher Stützpfeiler ist der Einbezug von Alltäglichkeit, womit nicht nur ein wertvoller Beitrag zur Ent-Aristokratisierung der Künste geleistet, sondern auch eher Unbeteiligten eine Partizipationsmöglichkeit eingeräumt wird: Tellervo Kalleinens heute vorgeführte Videodokumentation zeugt von dem Versuch, Kunst im eigentlichen Sinne zu popularisieren und demokratisieren, denn den in Hamburger Haushalten gedrehten Szenen liegt kein künstlerisches Dogma der Autorin zugrunde, sondern ausschließlich die Stegreif-Ideen der Mieter. Durch Handzettel und Anzeigen rekrutiert die Finnin ihre „Filmschaffenden“, die sich spontan eine Szene aus ihrem Leben zur gemeinsamen Realisation ausdenken sollen. Beispiel: Eine junger persischer Immigrant ließ sich von der Finnin gewaltsam zu Boden drücken. Die Filmszene wird erst anschließend sprachlich aufgelöst: „Women are stronger, so men have to suffer.“

Einen aufschlußreichen Gegenpol setzt Kalleinen durch Fotos von einem ähnlichen Projekt in Helsinki, für den sie allerdings nur einen Nacktschausteller gewinnen konnte. Dieser exhibitionist on exhibition wirft die Frage auf, wer hier wen missbraucht, die Künstlerin den Nudisten oder umgekehrt?

Was für einen Solidaritätszuschlag für die vagabundierende Künstlerkommune leistet die Initiatorin Cosima von Bonin? Nur soviel sei verraten: Coma – so ihr Kosename – bläst als Gast in dem von Ulla Brandenburg gedrehten Taschenspielertrick-Video, der am Abschiedsabend gezeigt wird, eine Feuerzeugflamme über Bande aus. Wenn ihr bis dahin nicht tatsächlich die Puste ausgeht.

heute, 18 Uhr: Foto-Video-Projekt von Tellervo Kalleinen, Stralsunder Straße 3; heute, 22 Uhr: DJs Arj Snoek, Maat Bonin und Niedlich, Pudel Club; Mi, 20 Uhr: Taschenspielertrick-Video von Ulla Brandenburg, Stralsunder Straße 3; das komplette Programm kann unter www.wirkommakomawoche.de eingesehen werden