tamtürktür ... der wahre türke (9)
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von BJÖRN BLASCHKE

Ärgert es Sie, wenn Ihnen aus tiefergelegten Autos türkische Lalla in den Gehörgang ögert? Oder finden Sie das exotisch? Ich werde in solchen Momenten sentimental, nostalgisch, regressiv, geschichtsklitternd – kurz: vergangenheitsverklärend ... Der Grund: Im Sommer 1987 hatte mir ein Mensch, den ich damals noch „Freund“ hieß, eine Kassette des türkischen Sängers Ibrahim Tatlises geschenkt. Der Freund gehört mittlerweile meiner Vergangenheit an; die Kassette nicht. Sie heißt „Mavi Mavi“ – benannt nach dem gleichnamigen Super-Smashhit des Mannes, der von Fans schlicht „Ibo“ gerufen wird. Zunächst dachte ich in jenem Sommer: „Oh, no! Türken-Pop!“. Dann aber hörte ich mir die Kassette einmal an – und schwupp avancierte sie zu meinem Lieblingsmusikspender 1987. Sobald ich die Zeit fand, klappte ich die Fenster meiner Ente hoch, rollte das Dach zurück, ließ die Lieder von „Mavi Mavi“ aufjaulen und jückelte durch die weiten Ebenen des Niederrheins – jenem Landstrich, der sich zwischen Düsseldorf und Aachen an der holländischen Grenze erstreckt und auch als Deutsch-Südwest-Anatolien bekannt ist.

Mein linker Arm hing während dieser Fahrten meist so weit aus dem Auto heraus, dass ich bequem von der Straßenrandbegrünung Blumen pflücken konnte. „Ibos“ Gesang aber brachte die entlegensten Käseräder der Benelux-Staaten ins Rollen, wahrscheinlich trieb er sogar im Osten Frankreichs die ohnehin schon glücklichen Kühe in wilde Ringtänze.

Warum ich „Ibo“-Fan war? Ich kann mir die Frage selbst nicht recht beantworten. Sein Aussehen kann es nicht sein: „Ibo“ ähnelt dem irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein einfach zu sehr! Ja, wahrscheinlich sind sie in Wirklichkeit eineiige Zwillinge, gleichen sich doch ihre Schnurrbärte wie eine Wildschweinborste der anderen.

Dieses Märchen zweier ungleicher Brüder, das in der Weltliteratur unzählige Vorbilder hat, könnte sich zum Beispiel so zugetragen haben: Saddam hatte seinen Bruder gleich nach ihrer kurz aufeinander folgenden Geburt aussetzen lassen, weil er Ibrahims Geplärr nicht ertrug. Leicht hätte er ihn natürlich mit der Nabelschnur an der nächsten Palme aufknüpfen lassen können. Saddam Hussein jedoch – das versichern Augenzeugen – neigte im Säuglingsalter noch nicht zu Grausamkeiten. Klein-„Ibo“ nun schaffte es irgendwie (es ist nicht gesichert, ob er krabbelte, per Öltruckstopp fuhr oder auf einer Wölfin ritt), durch die Berge Kurdistans über die irakisch-türkische Grenze zu gelangen. Ein armer, alter Mann, dessen Traum vom Stammhalter unerfüllt geblieben war, nahm ihn mit in seine Heimatstadt Urfa. Die Bedingung: „Ibo“ sollte fortan nicht mehr singen. Heimlich jedoch übte der Knabe weiter, bis er entdeckt wurde. Und da sie beide noch nicht gestorben sind, könnte „Ibo“ seinen bösen Bruder Saddam immer noch aus dem Irak vertreiben.

Die tatsächliche und wahrscheinlich genauso unwahre Legende von Ibrahim Tatlises Entdeckung im südostanatolischen Urfa sowie noch mehr Details aus dem Leben des „Türkstars“ demnächst ...