Und ewig lockt der Ohrensessel

Apologie der Faulheit. Eine unermüdliche Verteidigung des liebenswertesten aller Übel

Donnerstag, früher Morgen. Noch träge in Morpheus’ Armen schlummernd, höre ich fern die vertraute Stimme des Radiomanns: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, habe der Kanzler via Bild-Zeitung in die Welt hinaustrompetet und gegen die Arbeitslosen gewettert, berichtet er trocken. Wäre ich nicht gar zu müde und das Arbeitszimmer nicht gar zu weit weg, unverzüglich würde ich eine geharnischte Kritik schreiben, denn Populismus auf Kosten von Minderheiten geht mir gegen den Strich. Doch erst mal muss ich mich im Ohrensessel vom Nachtschlaf erholen.

Doch die Empörung schwindet nicht. Ist nicht die Faulheit das liebenswerteste und harmloseste aller Übel? Denke ich am Dienstag. Ist sie überhaupt ein Übel? Ist nicht ihr Widersacher, der Fleiß, ungleich gefährlicher, bösartiger, verheerender? Ist nicht die Dummheit, im Vergleich zur putzigen Faulheit, ein Dämon? Der Dumme bringt es weit, er wird Wimbledonsieger, DFB-, Vereins- und Bundespräsident, ja Kanzler. Hat der Dumme es geschafft, schimpft er über die Faulheit, als sei sie die Wurzel allen Übels. „Recht hat er“, stimmen dann alle anderen Dummen ein, und schon wettern alle Dummen der Nation gegen die Faulen und keiner kommt auf die Idee, dass doch die Dummheit die Geißel des Menschen ist und nicht die Faulheit, weil halt die Dummen naturgemäß sich ihrer Dummheit nicht bewusst sind.

Anders die Faulen. Sie wissen sehr wohl um ihre Faulheit, und sie genießen sie. Das dürfen sie, denn im Gegensatz zur Dummheit ist die Faulheit harmlos. Nie wurde in ihrem Namen einer Kreatur ein Haar gekrümmt. „Warum soll ich mich aus meiner Hängematte quälen, um einem Lebewesen ein Haar zu krümmen“, denkt der Faule, „warum mir die Arbeit machen, Menschen einzusperren, auszubeuten, zu foltern, zu ermorden?“ Nein, dies erledigen seit jeher die Dummen und Fleißigen.

Der Bund aus Dummheit und Fleiß ist der bösartigste aller Zusammenschlüsse. Der harmlose deutsche Auswuchs dieses Bundes verlor im Fußball die Weltmeisterschaftssspiele gegen Kroatien und Portugal und gab das deutsche Volk dem Spott preis, der schlimmste wütete in Auschwitz und lehrte die Welt Furcht und Ekel.

Der Faulheit tut man dagegen Unrecht, und sie wehrt sich nicht einmal, denn der Faule hat Besseres zu tun, als seine Faulheit zu verteidigen, nämlich nichts. Hat man je von einem tyrannischen, despotischen, mordenden Faulpelz gehört? Nein, dem Faulen ist alles, was Mühe macht, zutiefst zuwider, Politik, Gewalt, Herrschaft, Unterdrückung, Terror, die Übel dieser Welt sind des Faulen Sache nicht. Er ist nicht fähig, zu hassen, denn Hass ist anstrengend. Lieber sitzt er in seinem Ohrensessel, legt die Füße hoch und lässt die Zeit vergehen, denn er ist weise genug zu wissen, dass er das Vergehen der Zeit mit allem Fleiß der Welt nicht verhindern kann.

Der Fleißige aber, gehetzt und rastlos, hasst die Faulheit und die Faulen aus Neid über ihre Gelassenheit und Muße. Er ist zu dumm zu begreifen, dass Faulheit und Müßiggang Schwester und Bruder sind, Kinder der Muse und Basen der Kunst, sich also alles Schöne der Faulheit verdankt, während Dummheit und Fleiß Kinder der Bosheit sind, Stolz und Hass die Vettern. In Rage geraten könnte ich ob der Sippschaft der Dummen, Fleißigen, Selbstgerechten, Stolzen, lockte da nicht am Mittwoch schon wieder der ewige Ohrensessel. JOACHIM FRISCH