in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Fortuna Köln

Bizarr, aber ohne Fans

Ich hätte es natürlich besser wissen müssen. Aber ein Gefühl von Aufschwung hatte mich beflügelt, immerhin ist die Rückkehr in die Zweite Bundesliga noch möglich. Und gerade in so schwerer Zeit, wo es ums schiere Überleben geht, hätten sie doch kommen müssen. Aber sie kamen nicht. Günther hatte es gesehen. Mit der nüchternen Unbestechlichkeit eines Mannes aus der norddeutschen Tiefebene konstatierte er, dass auf keinen Fall mehr als tausend Zuschauer auf den Rängen wären. Ich behauptete stur das Gegenteil, Günther ließ sich nicht beirren und bot die Wette an. Jetzt werde ich ihm einen Eisbecher ausgeben müssen, denn am Ostermontag waren nur 826 Zuschauer ins Kölner Südstadion gekommen.

Ich war darüber fast ein wenig empört, schließlich wird dort gerade ein unglaubliches Drama gespielt. Steigt die Mannschaft direkt wieder aus der Regionalliga auf, ist Fortuna Köln vielleicht noch zu retten, weil es in der Zweiten Liga viele Millionen Mark vom Fernsehen gibt. Schafft die Mannschaft es nicht, stürzt der verarmte Klub gleich in die vierte Liga ab. Geführt wird Fortuna Köln, der ehemals ewige Zweitligist, von einem Insolvenzverwalter. Alles hängt an einer Mannschaft, die bis auf einen Spieler in nur zwei Wochen komplett neu zusammengestellt wurde. Ein zusammengeschustertes Wunderteam, das sich offensichtlich von nichts beeindrucken lässt.

Nicht einmal davon, dass niemand sie lieb hat. Fortuna Köln siegt und siegt, aber niemand kommt. Die Pressekonferenzen zu Rettungsaktionen des Vereins sind besser besucht als die Heimspiele. Dabei ist es im Südstadion nicht weniger lustig als früher. Das Publikum ist nach wie vor von feinsinniger Gemeinheit, wobei der Zuruf „Komm, mach den Einwurf. Oder kannst du das auch nicht?“ mein ewiger Favorit geblieben ist. Die Ränge sind für kölsche Exzentriker eine Bühne, auf der keine Wortmeldung untergeht.

Es gibt allerdings, von ein paar verlorenen Seelen abgesehen, keine wirklichen Fortuna-Fans. Vor Jahren, bei einem Spiel gegen Tennis Borussia Berlin, wurde deren einziger mitgereister Anhänger vom einheimischen Publikum mit Applaus und Schulterklopfen verabschiedet, weil er lauter als die Fortuna-Fans war. In Köln konnte halt kaum jemand das Gefühl entwickeln, dass Fortuna ihn braucht, denn der Klub hatte immer Jean Löring. Daneben blieb kein Platz für Anhänglichkeiten, sondern nur für Staunen. Fortuna Köln war sein hinreißender Egotrip, der in die Mythologie des deutschen Fußballs eingegangen ist. In einem der goldensten Momente reparierte Löring mit bloßen Händen Starkstromkabel, um das Flutlicht und damit das Spiel nicht ausfallen zu lassen. In seinem dunkelsten Moment, der ihm seltsamen Ruhm auf der ganzen Welt verschaffte, warf er Trainer Toni Schumacher in der Halbzeitpause raus.

Alles ist bizarr bei den Spielen des Klubs, und sei es nur eine Stadionzeitung, die aus unerfindlichen Gründen KickeRiki hieß. Dazu passend lief früher ein Student im Pappmaché-Kostüm ums Feld, das einen Hahn als Maskottchen darstellte, der Riki heißt. Darauf muss man erst mal kommen! Als Hannes Linßen noch Trainer bei Fortuna und nicht Manager beim 1. FC Köln war, wurde bei Treffern des Teams sein animiertes Gesicht auf der Anzeigetafel eingeblendet, wie er uns zuzwinkerte. Später sagte Linßen: „Sie können hier einen Schimmel im Anstoßkreis Salto schlagen lassen, das interessiert niemanden.“ Dann lachte er und zwinkerte mit dem Auge.

Günther und ich sind oft zusammen ins Südstadion gegangen. Meistens war es wie der Gang zum Bezirksligisten um die Ecke, dem man zuschaut, weil man mal an die frische Luft will. Nur der Fußball war immer viel besser. Das ist er in Wirklichkeit nicht mehr – und auch Jean Löring ist nicht mehr da. Er ist alt und krank und nach mehr als 33 Jahren nicht mehr Präsident. Es gibt noch eine tapfere Mannschaft, die am Ende der Saison auseinander fallen wird. Bald werden so wenig Zuschauer kommen, dass Günther und ich nicht einmal auf ihre Zahl wetten können. Wir werden sie einfach zählen.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.